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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

den Füßen behielt. So verderben die Gemeinden viele Lehrer und Prediger, weil sie mehr auf die Gabe sehen, als auf die Treue, mehr auf die Befriedigung ihres geistlichen Geschmacksgelüstens, als auf den Gehorsam gegen den Willen des HErrn.

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 Indeßen denk ich, der korinthische Fehler wird den eigentlichen und alten Gliedern der hiesigen Gemeinde weniger zuzuschreiben sein. Der Korinther dachte nicht daran, daß seine Wählerei die Treue in Schatten stellte; euer Fehler aber ist, daß ihr mit der Treue hadert und über nichts unzufriedener seid, als über diese beste Tugend der Lehrer. Wenn die Fehler, welche in der Gemeinde als die herrschenden genannt werden können, nach dem Willen und Befehl unsres Königs Christus gestraft werden, wenn man mit der Bestrafung anhält, auf daß Buße und Beßerung erfolge, wenn es, je länger die Buße ausbleibt, desto mächtiger und anhaltender geschieht, so ist das nichts anderes, als Treue gegen das Wort und den Befehl des Herrn. Aber für Treue wird es nicht erkannt, das gilt für Richten und Schelten, das können viele nicht hören; da stehen eure Widerwärtigen während der Predigt auf von ihren Sitzen, da sehen sie mit gespannten drohenden Augen dem strafenden Prediger ins Angesicht, das würden sie verbieten, wenn sie könnten, und wie viele haben nicht schon ihr Maul aufgethan und behauptet, dafür sollte man den Prediger zur Kanzel hinabstürzen. Wofür also? Für seine Treue. Wenn der Beichtvater die offenbaren unbußfertigen Sünder angreift, welche als gerecht angesehen werden wollen, während sie Ursache hätten, in Staub und Asche zu beichten und Buße zu thun; wenn er den Hartnäckigen und Unbußfertigen, die er mit dem Worte nicht zu demütigen vermag, die Absolution verweigert und sie vom Abendmahl zurückhält, damit sie nicht neben ihren andern Sünden sich auch noch am Leibe Christi versündigen und sich Gericht und Verdammnis eßen und trinken; was ist denn dieses? Treue ist es, Treue gegen den Hirten und gegen seine Schafe, gegen den HErrn, der verbeut, das Heiligtum vor die Hunde und die Perlen vor die Säue zu werfen; Treue gegen die Seelen, die nicht nöthig haben, den Zorn Gottes zu mehren, der schon über ihnen ist. Wie aber wird diese Treue erkannt? Da dreht sich ganz schnell die ganze Sache um. Der Prediger sündigt, die unbußfertige Rotte wird gerecht. Nicht Treue übt er, sondern Ungerechtigkeit, Priesterherrschaft, die Gerechten stößt er zurück, daß sie dem Gebote Christi nicht folgen können, zu Seinem Tisch zu gehen, andere, die schlechter sind, als sie, nimmt er an, legt ihnen die Hand auf, gibt ihnen Christi Leib und Blut in ihren Mund. Und obendrein haben sie noch ein wenig recht; denn es werden ja freilich auch die größten Sünder angenommen, wenn sie nämlich eine Tugend haben, die Aufrichtigkeit, und in der Aufrichtigkeit Buße, und in der Buße gläubiges Verlangen nach Vergebung. Denen legt man auch die Hände auf, und wie sich Jesus selbst mitten unter solche Leute setzte, und den Hohn und Spott pharisäischer verhärteter Sünder nichts achtete, so nimmt man sie auch jetzt noch zu Seinem Tisch, tröstet und erquickt sie mit den geheimen Schätzen Seiner himmlischen Mahlzeit, – und das alles aus Treue, aus miskannter Treue. Da wandeln denn die treuen Knechte Christi unter solchen Gemeinden und schreien: „Man sucht an den Haushaltern nichts, denn daß sie treu erfunden werden.“ Die Gemeinden aber oder doch ein großer Teil von ihnen bewirft sie dafür mit Spott und Hohn und will nichts weniger haben, als die Treue. Käuflich wenn die Prediger und Beichtväter sind, das Gewißen, wenn man ihnen mit Geschenken zudecken kann und mit Schmeicheleien; nachsichtig wenn sie sind, weil doch nichts zu wirken sei, – oder wenn sie die Treue aus Verzweiflung unterlaßen und über alle Gebote des HErrn selber hinwegstreichen, als nach welchen nicht hausgehalten werden könne: da freut sich der Pöbel der Gemeinden; da ist erreicht, was man will; solche Pastoren verachtet man und liebt sie doch; sie bekehren die Gemeinden nicht, aber sie selbst werden verkehrt ins Bild der Gemeinden: aus ists mit der Treue, und mit der soll es ja nach der Meinung der meisten aus sein. Der Schalksknecht, der das Pfund verzweifelt im Schweißtuch vergräbt, und der ungerechte Haushalter, der klüger ist als die Kinder des Lichtes: die sitzen auf den Stühlen der Propheten und Bischöfe der ersten Zeit und herrschen über ein Volk ihnen gleich, bis da kommen wird, der da kommen soll, der Erzhirte, der nach der Treue fragen wird. Und das ists ja, wovon wir dem Text gemäß noch zu reden haben, es gibt einen Advent, auch für die Hirten und Lehrer, und ein Gericht,

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 025. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/32&oldid=- (Version vom 1.8.2018)