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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

Gerechtigkeit und doch voll heiliger gerechter Rücksicht auf alle menschlichen Umstände und Verhältnisse. Er muß Gott und Mensch sein, göttliche und menschliche Eigenschaften vereinen, sonst würde ihm immer etwas fehlen, was der Richter haben muß. Wahrlich eine majestätische Persönlichkeit, die Richter aller Welt sein kann, und ihre Boten in alle Welt ausschicken darf, sich ankündigen zu laßen. Nicht minder groß ist aber der Inhalt des zweiten Verses. „Diesem, sagt St. Petrus, geben alle Propheten Zeugnis, daß jeder, der an Ihn glaubt, Vergebung der Sünden durch Seinen Namen empfange.“ So mahnet also nicht Er selbst allein, sondern alle Seine Propheten, die vor Ihm hergegangen sind, den um Sein Seelenheil besorgten müden Sünder, sich vor dem gestrengen Richter der Welt zu niemand anders zu retten, als zu Ihm selbst, und durch Glauben und Vertrauen an Sein hier auf Erden vollbrachtes Werk die furchtbarste aller Persönlichkeiten sich zur sanftesten und liebevollsten umzuwandeln. Weßen Seele frei und unbefangen genug ist, so eine Predigt zu würdigen, wie sie in diesen beiden Versen vorliegt, der wird gestehen müßen, daß in der Welt keine Predigt und kein Predigtschluß eine solche mächtige und herzbewegende Kraft äußern kann, als dieser. Da wird man bis zu den Schrecken des Gerichtstages erhoben und hingerißen bis in die Angst, welche ärger ist als Todesangst, weil sie vor dem ewigen Tode bebt; da sieht man den Arm und das Schwert aufgehoben; aber über ein Kleines, da hört man die mildeste Stimme eines Seelenfreundes und eines ewig guten Hirten, welcher die Schafe zu grünen Auen einlädt. Meine lieben Brüder, wenn ihr einen Augenblick vorwärts sehet in unserm Texte, so findet ihr, daß der Schluß der Predigt Petri von einer gewaltigen Wirkung des heiligen Geistes begleitet war, daß das Pfingsten der Heiden unter den letzten Worten Petri hereinbrach. Der Geist kommt aus der Predigt; aus welcher Predigt, das lehrt uns unser Text, der Geist kommt aus der Predigt von Vergebung der Sünden. Aber aus einer solchen Predigt von der Sündenvergebung, welche zugleich mit der Erinnerung an das ewige Gericht verbunden ist, die durch den mächtigen Gegensatz ihre volle Süßigkeit gewinnt, die Vergebung nicht als etwas Gleichgiltiges oder Geringes hinstellt, sondern als die einzige Kraft, dem zukünftigen Gerichte zu entgehen. So finden wir also damit angedeutet, wie man auch in unseren Zeiten den Geist Gottes den Menschen zuführen soll. Nicht jede Predigt gibt den Geist, nicht die Predigt von irgend einer Glaubenswahrheit, welche du erwählen möchtest, sondern die mit den rechten Gegensätzen verbundene Predigt von der Vergebung der Sünden. Die Predigt des heiligen Apostels Petrus in ihrer großartigen Ursprünglichkeit und hohen Einfalt spricht allen denjenigen, welche mit der Ewigkeit schrecken, in der Gnadenzeit aber locken, vor dem Richter warnen, zum Erlöser weisen, ihr bestimmtes Recht zu, und nicht bloß ihr Recht, sondern auch ihre Kraft und ihren Erfolg. So sehr wir daher auch die Methodisten tadeln mögen, weil sie die Gegensätze von Gericht und Gnade nicht in der großartigen Einfall Petri hinstellen, sondern auf eine alle Gefühle anregende, alle Nerven aufregende menschlich übertreibende Weise predigen; so sehen wir doch ganz deutlich, daß die Verbindung ihrer beiden hauptsächlichsten Thematen sich aus St. Petri Beispiel und Segen rechtfertigen läßt. Man thut daher unrecht, wenn man in diesem Stücke am Methodismus mehr haßt und misbilligt, als die Methode; im Gegentheil aber thut man ganz recht, wenn man einfältig und kräftig Gericht und Vergebung predigt und dem Menschen die Wahl zwischen beiden frei läßt, aber auch wichtig macht.

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 Ihr erinnert Euch, meine lieben Brüder, daß wir von dem Vorgang zu Cäsarea eine doppelte Erzählung haben, die nemlich in unserm Textescapitel, die zweite aber in dem darauffolgenden 11. Capitel, welche aus dem Munde Petri und seiner eigenen Erzählung nach seiner Zurückkunft von Cäsarea genommen ist. Beide Berichte stimmen vollkommen zusammen. Doch aber kann man zuweilen den einen durch ein Wort des andern vervollständigen, oder anschaulicher machen, genauer begränzen und dgl. So sagt Petrus im folgenden Kapitel Vers 15: „Da ich aber anfieng zu reden, fiel der heilige Geist auf sie, wie auch auf uns im Anfang.“ Daraus sehen wir, daß die Rede des heiligen Petrus, deren Gedankengang uns so vollkommen erscheint, so weit er vorgelegt ist, und sich bereits wie ein abgerundetes Ganzes ausnimmt, doch noch nicht zu Ende gekommen war, ja daß alles, was wir von ihr wißen, nur ein Anfang von alledem war, das Petrus zu sagen hatte.

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 312. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/320&oldid=- (Version vom 1.8.2018)