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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

sollte der judenchristlichen Gemeinde und ihrem ersten Apostel, dem heiligen Petrus, glänzend ins Auge treten, unwidersprechlich gelehrt werden. Wer kann auch leugnen, daß die Belehrung eine mächtige und glänzende war, daß Gott, wenn man so sagen darf, alles aufgeboten hatte, um Petro und durch ihn den Judenchristen allen judaistischen Vorzug niederzulegen. Engel, Gesichte und Offenbarungen müßen vom Himmel kommen, Kriegsknechte, Sclaven und Apostel, dazu Apostelschüler müßen Reisen machen, hin und her, damit der einzige Weg unserer Seligkeit, der einzige für alle, geoffenbart, gelehrt, erkannt, geglaubt und festgehalten würde. Wir wißen aber auch, wie schwer das gerade bei den Juden hielt, wie fest sich auch die Judenchristen an ihre Vergangenheit anklammerten, und wie große Mühe es durch das ganze erste Jahrhundert und darüber hinaus gekostet hat, um den jüdischen Stolz zu überwinden und die Seligkeit aus Gnaden ohne des Gesetzes Werke allen und jeden, auch den Heiden einzuprägen. Der HErr kannte die Hartnäckigkeit Seines Volkes und wählte daher die entsprechenden Mittel, sie zu überwinden. Er hat damit auch den späten Jahrhunderten und fernen Geschlechtern große Gnade erzeigt, da die Menschen aller Zeiten sich gleich bleiben und in jedem Geschlechte, ja in jedem Menschen sich immer neu die Versuchung erhebt, als könnten doch welche Vorzüge leiblicher und geistlicher Art einen Einfluß auf die Gewinnung unseres ewigen Heiles üben. Kein Abweg ist betretener, keiner beliebter bei dem menschlichen Geschlechte, als der der Selbstgerechtigkeit und des Stolzes auf erträumte oder überschätzte Vorzüge, und nichts geht dem Herzen schwerer ein, als das Wörtchen, welches alle und alle Beimischung menschlicher und natürlicher Zuthat aus dem Werke unsrer Erlösung ausschließt, das Wörtchen „alleine“. – So gewis nun auch der HErr in unserem Texte zu dem einen Ziele dringt durch Gleichstellung der Heiden und Juden, Seinen einzigen Heilsweg für alle Menschen ins Licht zu setzen, so können wir doch die gemeinsame Gabe des Zungenredens bei dem Juden- und bei dem Heidenpfingsten in einer gewissen Verschiedenheit der Bedeutung auffaßen. Diese Gabe des Zungenredens rechtfertigt sich in Cäsarea schon genugsam durch die erkannte göttliche Absicht, die Heiden rücksichtlich des ewigen Heiles den Juden gleich zu stellen. Eine außerordentliche Gabe haben sie beide, sie deutet auf eine und dieselbige ordentliche Gabe der Seligkeit. Dagegen aber bei dem Pfingsten der Juden, bei welchem die größten Lehrer, welche die Menschheit außer Christo jemals hatte, die heiligen Apostel und ihre Gehilfen ausgerüstet wurden, denkt man an keine Gleichstellung, an keine Zurückbeziehung der fernen Heiden zu der jüdischen Gemeinde, sondern da denkt man an die Fortbewegung des göttlichen Wortes, an den Brand der Welt, durch die feurigen Zungen entzündet, an die Macht apostolischer Zungen, an die Kraft des Evangeliums. Man braucht nicht zu leugnen, was man nicht weiß, nemlich daß wohl auch Cornelius und die Seinen zur Ausbreitung des Reiches Gottes durch Wort und Schrift das Ihrige werden beigetragen haben; man kann es ganz wahrscheinlich finden, daß es von ihnen geschehen ist, und doch wird ihr Zungenreden bei aller Einerleiheit der Sache mit jener zu Jerusalem nur den Eindruck auf den Leser machen, welchen das Zungenreden der Corinther in den Briefen Pauli auf uns macht. Es ist die gleiche hohe Gabe, aber zu verschiedenem Zweck geschenkt, – in Cäsarea und Corinth, um der Gemeinde eine Hebung und Verklärung der geistigen Fähigkeiten des Menschen zu zeigen, wie sie dermaleins allen Christen eigen werden dürfte; in Jerusalem aber um der Kirche ihren Weg zum Sieg zu zeigen, den Weg der feurigen alles überwindenden Zungen.

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 Hier kommen wir nun zum dritten und letzten Theile unseres Textes. Als der heilige Petrus die außerordentlichen Gaben des Geistes Gottes auf die Jünger fallen sah, da konnte in ihm eine Ueberlegung beginnen, nemlich wie er diese zungenredenden vom Geiste Gottes heimgesuchten Heidenchristen anzusehen und weiter zu führen hätte. Sind sie von Gott den Judenchristen beigesellt und gleichgestellt, welche die ganze Lehrzeit JEsu mit Ihm zugebracht hatten und in Seiner Schule geblieben waren, so konnte es erscheinen, wie wenn sie nun damit über alle Ordnungen Christi hinübergehoben wären, und ihren ganz eigenen Weg zu gehen hätten. Bei den Judenchristen hatte es Apostelgeschichte 2, 38 geheißen: „Thut Buße und laße sich ein jeglicher taufen auf den Namen JEsu Christi zur Vergebung der Sünden, so werdet ihr empfahen die Gabe des heiligen Geistes.“ Hier ist nun aber die

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 314. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/322&oldid=- (Version vom 1.8.2018)