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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

der Nacht und, löst euch die Frage, ob das eine oder das andere: das was man auf Erden, oder das was man in den Lüften vorgehen sah, Gott im Himmel mehr gefiel; fragt euch, wo der HErr Seine Absicht mehr erreicht hat, wo das Reich Gottes den Erben des ewigen Lebens näher gekommen war, da oder dort: immer wird die Vergleichung und die Antwort zum unvermutheten Vortheil des heutigen Textes ausfallen, immer wird es euch klarer werden, daß die himmlischen Erscheinungen mit aller ihrer Glorie nichts anders bezwecken, als was man hier in diesem Evangelium vor sich gehen sieht, den Gehorsam der Gläubigen, die zum Schauen eilen, die innerliche Bewältigung und Seligkeit der Seelen, wie sie sich bei Maria findet, Preis und Lob des HErrn, wie bei den Hirten, die zur Heerde zurückkehren. Wird euch aber das je länger, je klarer, je wichtiger, so wird euch klarer und wichtiger, was ihr selbst bedürfet, und es heißt dann einmal wieder recht eindringlich und recht heilsam: „So ihr solches wißet, selig seid ihr, so ihr es thut.“ –


Am Sonntage nach Weihnachten.
Luc. 2, 33–40.

 DIeser liegt zu einem Fall und Auferstehen vieler in Israel und zu einem Zeichen, dem widersprochen wird.“ Worte des alten Propheten Simeon an Maria, die Mutter JEsu. Ob sie überraschend auf die Mutter JEsu wirkten, diese Worte, – oder ob sie, ohne Zweifel die ausgezeichnetste Schülerin des heiligen Geistes, nur von außen her bestätigen hörte, was sie selbst schon wußte, worüber ihr anderweit Aufschluß geworden? Wie das auch gewesen sein mag, jedenfalls treten wir mit diesem Evangelium in einen verwunderlichen Gegensatz zu demjenigen, was uns das Fest der Geburt JEsu dargeboten hat. Dort war alles Licht, Leben und Freude; Engel predigten von der Freude, die allem Volke widerfahren werde; himmlische Boten kündigten an: „Euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus der HErr in der Stadt Davids.“ Heute zieht eine dunkle Wolke daher, es wird finster und voll ahnungsvoller Schauer um den Neugebornen; Tod geht von ihm aus, Noth und Jammer ist in Seiner Nähe. Der kleine freundliche Knabe, der nicht bloß alle Welt segnet, sondern aller Welt Segen und Friede ist, erscheint im Bild eines unvermeidlichen Felsens, der über den Weg der Menschheit hin liegt, von dem Propheten reden, daß er liege zu einem Fall und Auferstehen vieler. Es heißt wohl: „zu einem Fall und Auferstehen“, es theilt, es halbirt sich an ihm die Welt; aber man übersieht ganz, daß er auch zum Auferstehen gesetzt ist, weil man der Meinung war, er solle auch nicht einem einzigen zum Falle dienen. Um ihn her brennt die Menschheit, stoßen sich die Geister, ehe sie die zwei bekannten Wege gehen. Der neugeborne liebliche Knabe zeigt sich, wenn auch selbst ruhig wie der Fels im Meere, doch umwogt von Streit, und an seiner Stirne liest man mit Buchstaben des heiligen Geistes: „Ein Zeichen, dem widersprochen wird.“ Der traurige Eindruck wird vollendet, wenn man noch einen Vers des Textes dazu nimmt, denn man liest ja V. 35: „Und durch deine eigene Seele wird ein Schwert gehen.“ Also die Mutter, die wonnevolle, die selbst von sich gesungen hat, sie werde selig gepriesen werden von Kind zu Kindeskind, die durch Engel und Hirten mit einem Strome der Freuden überschüttet worden ist, die soll einmal eine schmerzenreiche Mutter werden, und der Schmerz soll durch ihre Seele wie ein Schwert gehen. Daß der holde Knabe nicht sein werde wie die anderen Menschenkinder, die als Säuglinge ihre Mutter mit Freuden, hernach aber durch ihre Sünden und Uebertretungen und Beleidigungen mit namenlosem Jammer und Weh zu überschütten pflegen; daß JEsus niemals eine Schuld haben wird, wenn Seine Mutter weint, das ist klar, aber Er ist eben nicht bloß ein Fels, selbst voll Ruhe, umwogt vom Streit, sondern Er wird auch ein blutender und gekreuzigter Erlöser. Er ist geboren, nicht bloß um andere streiten zu laßen, sondern um selbst ein Herzog aller Streiter zu sein und den Kampf zu führen, wo er am schwierigsten ist. Er wird wohl Leben schaffen für alle Welt, aber nur durch den eigenen Tod, und zwar was für einen. Es wird mit

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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 323. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/331&oldid=- (Version vom 1.8.2018)