Seite:Wilhelm Löhe - Epistel-Postille.pdf/341

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

wenn sie immer wollte? Die Antwort ist, denk ich, nicht schwer, ER ist die Sonne. In Ihm ist das Leben und dieß Leben ward das Licht, welches auf dem Berge der Verklärung leuchtete. Aus Seinem gottverlobten Innern brach das Licht hervor. Erst durchleuchtet es Seinen Leib, welcher sofort leuchtete wie die Sonne, dann Seine Kleider, daß sie weiß wurden wie Schnee. Die Kleider sind nicht so dicht wie Sein Leib; aber Sein Leib ist reiner, sonnenhafter, dem Lichte verwandter, das aus Seinem Innern strömte, darum leuchtet Er wie die Sonne, während dem Kleide nur die Farbe genommen und die Reinheit Seiner sündlosen Natur über dasselbe ergoßen wird. – Aus dem ganzen Vorgang sieht man, daß die Entäußerung und Entleerung der Herrlichkeit nicht so zu nehmen ist, als wäre dem HErrn Seine Glorie genommen worden, so daß Er keine Macht mehr über sie gehabt hätte. Er hat Sich Selbst entäußert, Er legte den Gebrauch nieder, weil derselbe nicht zweckdienlich gewesen wäre; aber Er behält die Macht, Licht und Herrlichkeit wieder anzuziehen als Sein Kleid, wo überall Er es für gut hält. Und auf dem heiligen Berge hat Er es für gut gehalten, vor Mose und Elia, vor Petro, Andrea und Johanne und vor Seinem Vater in der Glorie, die Er hatte, ehe der Welt Grund gelegt ward, auch im sterblichen Leibe zu erscheinen.

 Warum Er gerade für gut hält, eben bei dieser Gelegenheit in Glorie zu erscheinen, weißt du’s? Man könnte die Absicht des Wunders in der Stimme erkennen, welche aus der lichten Wolke auf die Jünger herabkam. Christus wird als Gottes Sohn vor Seiner Auferstehung erklärt, – Er zeigt sich vor der Auferstehung, wie Er nach der Auferstehung sein wird, damit Er nach der Auferstehung als derselbe erkannt würde, der Er vor der Auferstehung war. Darum soll auch die Erscheinung erst nach der Auferstehung bekannt gegeben werden, und deshalb ist sie auch so auffallend und außerordentlich, daß ihr Glanz in der Erinnerung durch keine andere Begebenheit in Schatten gestellt werden konnte. Es galt, dem Christus, der nun Seinem Tode entgegengieng, Zeugnis und Glauben zu verschaffen vor den Zeugen, von deren Glauben der Glaube der ganzen Welt abhieng. Und diese Absicht wird erreicht – bei den Jüngern, die, wie St. Petrus in seinem Abschiedsbriefe, noch nach einem Menschenalter voll Wonne und Andacht von der Sache redeten, und bei der Kirche, die, es sei ihr Verständnis über den Vorgang groß oder klein, dennoch aus demselben so viel abnimmt, daß ihr HErr überhaupt durch die Glorie vor und nach Seinem Leiden ihr als Einer, als ihr einziger Heiland gezeigt wird.

 Aber war die ganze Absicht mit der Aufnahme der Stimme, die aus der Wolke fiel, erreicht? Was für eine Stelle nimmt die Verklärung im ganzen Lebensgang JEsu ein? Warum trat sie gerade damals ein? Warum mußte sie damals eintreten? Es gibt Antworten, die nicht falsch sind, aber doch nicht befriedigen, weil sie den Hauptpunkt nicht treffen, nicht erschöpfend sind. So könntest du z. B. sagen, Mose und Elia hätten mit dem HErrn von Seinem Leiden und Sterben gesprochen, – das hätten sie im Auftrag des himmlischen Vaters gethan, – den Auftrag zu erfüllen, seien sie erschienen. Von Seinem Leiden hätten sie vor Seinem Leiden reden müßen, das sei die rechte Zeit für so ein Gespräch gewesen. Bald (s. 19, 1.) sei der HErr zu Seiner Todesreise aus Galiläa nach Jerusalem aufgebrochen; zu der habe Er Sich durch die feierliche Besprechung mit den Abgesandten aus der andern Welt bereitet. Aber genügt das? Warum mußte Er Sich bereiten, warum denn? Wozu war das alles nöthig für Ihn? – Sag’s nur heraus, daß du’s nicht weißst. Andere wißen es auch nicht. Manche fliegen bei solchen Fragen wie Mücken um das Licht herum; aber sie können doch nicht hineinfliegen, ohne gestraft und verbrannt aus der Luft zu Boden zu fallen. So laß es sein, alles wißen zu wollen, und sei zufrieden mit dem, was dein frommer Gott dir zeigt. In einer jeden Frage, welche von Gottes Wort angeregt wird, die man aber hier nicht lösen kann, liegt eine Bürgschaft für die Ewigkeit und ihre Offenbarungen. Erwarte nur die Zeit, es wird sich alles lösen, wenn du Den sehen wirst, den die Jünger auf dem heiligen Berge sahen. Dort wirst du auch keine blöden Augen mehr haben und nicht mehr von Schläfrigkeit überfallen werden, wenn dich Gottes Licht anblickt. Hier erzeugt groß Licht – wie eine Predigt dem irdischgesinnten Pfarrkind – Schlaf, Dumpfheit; aber wir werden erwachen nach Seinem, nach JEsu Bilde und dann Sein Licht aufnehmen können. Darauf laß uns warten.


Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 333. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/341&oldid=- (Version vom 1.8.2018)