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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

Am Sonntage Sexagesimä.
Luc. 8, 4–15.

 DIe vielen Zuhörer, welche sich um den HErrn her gesammelt haben (siehe Vers 4.), veranlaßen Ihn, in einem Gleichniße Seine Hoffnungen von den Hörern des Wortes, wie sie zu allen Zeiten sein werden, kund zu thun. Wie die Erde viel Land, so bietet die Menschheit zu allen Zeiten viele Hörer. Unter diesen bringen es einige zu einem Anfang des geistlichen Lebens, nur wenige bewähren sich als Gottes auserwählte Kinder.

 Wie viele auserwählte Gotteskinder werden denn wohl, lieber Leser, in der Gemeinde sich befinden, welcher du angehörst? Das weißt du nicht. Du weißt nicht, ob es viele oder wenige sein werden. Darum thue nicht, als ob du etwas wüßtest, und richte nicht vor der Zeit. Du sprichst: „Es regt sich bei uns gar nichts“; aber du redest schon mit diesem zu viel, denn du hörst das Gras nicht wachsen, viel weniger weißt du von der Arbeit des Geistes in den Seelen deiner Nachbarn Rechenschaft zu geben. Du sprichst: „Bei uns ists lebendig“; aber daß du nicht vor der Aernte jauchzest, erst am Aerntetage werden die Auserwählten kund. Du sprichst: „Es fällt einer nach dem andern ab“; aber auch wenns wahr ist, was du sprichst, ist keine Gefahr fürs Reich Gottes; auch können wieder aufstehen, die da fielen. Kurz, richte nicht, aber bete, und vor allem, sorge, daß du die eigene Seele rettest. Die so viel Zeit haben, fürs Reich zu sorgen, – die für die Wolken sorgen, daß sie nicht zerreißen, und für den Regenbogen, daß er nicht falle, – kennen die Noth der eigenen Seele nicht, nehmen es zu leicht mit ihrer Seligkeit, haben noch viel Sicherheit in sich. Eine Seele rette, die deine: das ist deine Aufgabe. Für die andern bete, und was du kannst, ohne den Hauptzweck deines Lebens, deine Seligkeit aus dem Auge zu verlieren, das thue für sie. Uebrigens vertraue Gott und Seinem Worte. – Vielleicht sagst du: „Es muß doch am Pfarrer liegen, daß bei uns nichts wird.“ Vielleicht liegts auch am Pfarrer. Aber wenn er Gottes Wort rein und lauter predigt, wenn er der Sakramente richtig waltet, wenn er die ihm vom HErrn befohlene Arbeit in Schwachheit, aber auch in Demuth verrichtet, – mit einem Worte, wenn Wort und Wandel dem Glauben ähnlich sind; dann liegts doch nicht am Pfarrer. „Aber warum wirds denn nichts?“ Antwort: Wenn der Same gut ist und recht gesäet, so ist weder der Säemann noch der Same schuld, sondern das Land, das harte, widerstrebende, oder mit andern saugenden Pflanzen bereits besetzte Land. So ists eben! So hats der HErr gesagt! So hat Ers erfahren, so Seine Jünger! Sie haben alle mit Schäffeln gesäet, guten Samen, und sich voraus darein ergeben, mehr zu säen als zu ärnten, und Geben für die ihnen zugedachte Seligkeit erkannt. Du möchtest vielleicht gerne nicht die stille Ausbreitung des Reiches in den Seelen, die an Seinen Auserwählten Ihm niemand wehren wird, sondern das Getümmel der Erweckungen und die Regsamkeit der Seelen, – du möchtests gerne weniger langweilig, – deine Augenweide suchst du, schauen willst du. Gottes Knechte aber beschließen im Frieden Gute und Böse ins Netz, schonen das Netz und den Acker, wo Kraut und Unkraut wächst, und warten auf den Tag der Scheidung im Glauben. An dem bekommen sie Augen und sündlose Lust der Augen, wenn sie die Garben einbringen, die vor deinen Augen kleinen, vor Gott großen. Den Tag erwarte!


Am Sonntage Estomihi.
Luc. 18, 31–43.

 MItten in Seinem Siegeslaufe, da Wunder auf Wunder von Ihm geschehen, verkündigt Er Sein Leiden und Sterben. Da man hoffte, Seine Sonne sollte immer höher steigen, da man eben erst begonnen hatte, an ihren Strahlen zu erwarmen, stimmt Er den Schwanengesang an und weißagt

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 336. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/344&oldid=- (Version vom 1.8.2018)