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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

JEsus völlig siege! Laß uns mit Ihm sammeln, wenn Er sammelt! Laß uns nicht ungläubig sein, sondern glauben, daß Er lebe, daß vor Ihm des Teufels Werk entweichen muß auch jetzt noch!


Am Sonntage Lätare.
Joh. 6, 1–15.

 LErne aus diesem Evangelio JEsu heilige Tischzucht kennen und lerne etwas für deine Tischzucht. – Ehe die Speisung beginnt, gebietet Er, daß sich die Menge lagere. Und es lagerten sich bei fünftausend Mann, und zwar nach Seinem Gebot „bei Tisch vollen“ (Marc. 6, 39.), je fünfzig und fünfzig einander gegenüber, so daß immer hundert Mann einen Tisch voll gaben und die ganze Schaar in fünfzig Tische vertheilt war. Der Tag neigt sich, die Hungrigen und Müden, die neu Genesenen, die Geheilten freuen sich, daß sie Speise empfangen sollen und sinken fröhlich nieder auf das grüne Gras. Ein schöner Anblick, diese fünfzig Tischlein voll, diese Tischordnung! Ein rührender Anblick, diese Tausende zu sehen, welche von einerlei Hoffnung und Vertrauen auf JEsu Speisung erfüllt sind. Aller Augen warten auf Ihn, sie sitzen bei dem Allmächtigen zu Tische. So sollte es auch bei deinem Tische sein, lieber Leser! Gleichwie des Heilands Mahlzeit nicht beginnt, bevor die volle Ordnung hergestellt ist, so solltest auch du die Deinen bei Tisch zu heiliger Ordnung versammeln. Es ist nicht schön, wenn der Hausvater die Mahlzeit beginnt, die Kinder sie fortsetzen, das Gesinde sie endigt und dazwischen bald der, bald jener sich entfernt. Sammle die Deinen, laß aller Augen auf des HErrn Güte warten, das Vertrauen auf Seine Güte vereine euch alle, Seine Gaben empfanget mit Andacht, Dank und Liebe mache euer Mittags-, euer Abendeßen zum Liebesmahle.

 Nachdem sie alle vor JEsu Augen sich gelagert hatten, nahm Er die fünf Brote und die zween Fische, sah auf gen Himmel und dankte. Er dankt, und ist doch Selbst allmächtig. Gleich wie der Vater das Leben hat in Ihm Selber, also hat Er auch dem Sohne gegeben, das Leben zu haben in Ihm Selber, dennoch sieht der Sohn zum Vater auf und dankt. Denn es ist des Sohnes Freude, alles von dem Vater zu empfangen, alles Ihm zu danken. Er ist mit dem Vater Eins nach Macht und Wesen, – durch Seinen Dank spricht sich Seine unaussprechliche Freude, Sein heiliges Bewußtsein von der ewigen Einigkeit aus. Freund, lern danken! Der Dank macht auch die Creatur mit dem Schöpfer so einig, als es sein kann. Dank ist selbst schon ein demüthiges Bekenntnis der Vereinigung mit Ihm. – Er dankt, und für was? Für die fünf Brote, die zween Fische? Auch für diese, aber für noch mehr. Der nicht dankt mit Ihm und wie Er, sieht eine arme Gabe, aber Sein Dank ist Weißagung, denn Er dankt für alles, was aus dem kleinen Vorrath zur Sättigung der großen Menge erwächst. So sieht der Dank rückwärts nicht allein, sondern auch vorwärts, in Vergangenheit und Zukunft. Freund, wenn du an Gott glaubst, so glaubst du mehr, als deine Augen sehen, und dankst drum auch für mehr. Lern glauben, so lernst du danken. Lern danken, so wächst, wie dein Dank, dein Glaube. – Aber du dankst vielleicht nicht, du sprichst vielleicht über deinen zu Tisch versammelten Kindern und der vorhandenen Speise das Dankgebet wie eine unverständliche Zauberformel, ohne daß dein Herz etwas davon weiß? Ach lern danken! Schau auf zu Gott, erkenne dich in Seiner Nähe und alles, was du hast, als Seine Gabe, – dann sprich dein Dankgebet.

 Nach dem Dankgebete bricht der HErr die Brote und reicht jedem der zwölf Jünger einen Theil davon, wieder auszutheilen den Hungernden. Seine heiligen Apostel bedienen die Hungrigen. Der Arme, der Nothleidende wird im Reiche JEsu behandelt als ein Vornehmer und Herrlicher, für den alle andern da sind. Die aber an Seinem Tische täglich satt werden nach Leib und Seele, die Fürsten Seiner Kirche, sind aller Diener. Sie beweisen es mit der aufopfernden Liebe, mit treuer, zum Besten des Nächsten vermeinter Arbeit des Berufes, daß sie sind, nicht bloß heißen, die Knechte aller Knechte Gottes. – Ein Wiederschein dieser Ordnung findet sich auch bei den natürlichen Menschen. Bricht doch jeder Hausvater den Seinigen das Brot, bereitet doch jede Hausmutter den Ihrigen

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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 340. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/348&oldid=- (Version vom 1.8.2018)