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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

und dem Gerichte genommen. Können wir denn so uns in Seine Leiden vertiefen, daß nicht das Gedächtnis Seines Sieges bei uns bleibe – und der Wehmuth die Süßigkeit mittheilte, die die Erinnerung überstandener Kämpfe hat? Ist nicht, wenn wir Hosianna rufen, der Trauerton genommen? Ist nicht das Hosianna gewißermaßen gleichbedeutend geworden mit dem Halleluja? Nicht ganz, wie an Advent, aber doch gewis mit Freuden beginnen wir die Charwoche. Zu uns, wie zu Johannes, ist gesagt: „Weine nicht, siehe, es hat überwunden der Löwe, der da ist vom Geschlechte Juda, die Wurzel David.“ Offenb. 5, 5. Wir sind getröstet über Seine Leiden. Sie sind der Ursprung aller Freuden. In dem Lamme, das überwunden hat, finden wir das Geheimnis, uns allewege freuen zu können. Keine Adventsfreude ohne Seine Leiden. Schon hier kann kein Fest den Wiederschein der andern Feste entbehren. Dort, ja dort wird ein Fest und aller Feste Köstlichkeiten in dieß eine Fest versammelt sein. Dort wirds erscheinen, daß aller Feste Eigenthümlichkeit auf Wahrheit ruhte.


Am grünen Donnerstage.
Joh. 13, 1–15.

 ES kann einem manchmal ein Mensch gefallen und zugleich misfallen. Der reiche Jüngling gefiel dem HErrn und doch misfiel er Ihm. Und Petrus, der des HErrn heiliges Fußwaschen unterbrach, misfällt einem, misfiel vielleicht, ja gewis auch dem HErrn, und doch spricht er alles, was er spricht, so aus unserem eigenen Herzen, daß man nicht anders kann, als in ihm einen Vorredner der andern schweigenden Apostel und aller Christen erkennen. So ist Petrus – er zieht an, wenn er abstößt, man fühlt sich hinter ihm her, wenn er noch so ungescheut und scheinbar unpaßend laut werden läßt, was in ihm lebt. Man könnte eine heilige Rede über das Edle und Schöne in Petri Fehlern halten. Jedoch zur Sache, die wir meinen.

 „HErr, Du meine Füße wäschest?“ Du – meine? Der HErr hat Seine Kleider ausgezogen, – wie ein Sclave kniet Er vor den Jüngern und wäscht ihnen die staubigen, schmutzigen Füße. Aber diese Erniedrigung zeigt dem offenen Mannesauge Petri gerade erst recht die Größe des HErrn. Wie mancher Vater, mancher Lehrer, mancher Herr halten es für eitel Schaden und Herabsetzung ihres Ansehens und Hindernis ihres Berufs, wenn sie vor ihren Untergebenen klein werden, etwa gar einen Fehler gestehen, abbitten sollen. Wie thöricht sind sie, wie blendet sie Hochmuth über den rechten Weg! Steig herunter und werde klein, wo es recht ist, so wirst du groß. Lern das, o sündige Creatur, von dem sündlosen JEsus. Er kann freilich nicht für Sich Buße thun und auf die Weise klein werden, wie du es kannst und sollst; aber klein wird Er doch, aus Liebe klein, zu Lehr und Unterweisung Seiner Kindlein. Und da Er so klein wird, ruft Petrus voll Erstaunen: „Du – meine Füße?“ Du – Füße – und gar meine! Ach darin liegt Bewunderung und Anbetung und das thut wohl dem Menschen, der gerne seinen HErrn bewundert und anbetet.

 Der HErr deutet dem heiligen Petrus an, daß Er ein Geheimnis vollziehe, indem Er die Füße der Jünger wasche, verheißt ihm auch Offenbarung und Erkenntnis des Geheimnisses. Wahrlich freundliche Zurechtweisung und Gnade genug für einen armen, irrenden Menschensinn. – Aber Petrus weiß doch noch nicht, was JEsus will, der Schlüßel fehlt zum Räthsel, und da kann er nun einmal den Eindruck noch nicht überwinden; statt nachzugeben, statt zu schweigen bricht er im Gegentheil nur noch mächtiger hervor und ruft: „Du darfst mir in Ewigkeit nicht die Füße waschen.“ Es ist ja dieß Wort wider JEsu Thun und Willen, es ist also nicht recht, es ist ein Tadel darüber auszusprechen. Aber doch liegt etwas drin, was unsere Seelen bewegt, und wenn nicht der HErr ein Geheimnis vollzogen hätte, wenn es nicht ein so besonderer Fall gewesen wäre, die ganze Kirche würde ihrem Vorredner Petrus beipflichten; denn das ist ja nicht das Verhältnis zwischen dem HErrn und dem Sündenkinde, daß jener diesem Sclavendienste thue; kehr um die ganze Handlung, so gibt es ja immer noch, so umgekehrt es scheine,

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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 343. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/351&oldid=- (Version vom 1.8.2018)