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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

Nicht leere, arme, darbende Grabtücher, sondern volle, reiche, milde Geräthe, wichtiger und schöner als jene Tücher, mit denen Petrus im Gesicht die mancherlei Thiere vom Himmel niederfahren sah, decken unsre Altäre. Nicht leere Gräber sind es, wohin wir ziehen, wie die Weiber und die Apostel, nein, wir suchen und finden, genießen und erfahren den Auferstandenen bei den Altären und den aufgedeckten Symbolen Seiner Grabtücher.

 Hie bin ich nun bei dem Gedanken, auf welchen ich lossteuerte, so lange ich diese kleine Ansprache an dich hielt.

 Schön, reich belohnend, über Bitten und Verstehen lohnend ist der Gang der Weiber zum Grabe gewesen. Sie suchten den Lebendigen bei den Todten und wußten nicht, daß Er lebte. Sie fanden zwar den Lebendigen nicht bei den Todten, aber sie erfuhren doch Botschaft und Kundschaft Seines Lebens. Wir aber gehen an Ostern zum Sacramente. Da finden wir den Auferstandenen, Seinen verklärten Leib, Sein unverwesliches Blut, – da nehmen wir Ihn nicht, wie einst Simeon, auf die Arme, aber auf die Lippen, schmecken und sehen, wie freundlich Er ist und empfangen durch Sein heiliges Begegnen die Kraft Seiner Auferstehung für Leib und Seele.

 Wer hat nun glücklich gefunden, den alle Seelen suchen, brauchen und begehren, wenn wir nicht? Wo ist Ostern, wenn nicht bei uns? Wie denn die Engel die Grabtücher als Wahrzeichen der Auferstehung bieten, wahrlich so können wir die Altarleinen mit gleichem Rechte als Wahrzeichen der Gegenwart des Auferstandenen bei den Seinen nehmen.

 Laß dir drum meine Bemerkung von den leinenen Leibtüchern JEsu auf den Altären nicht widerwärtig sein.



Am zweiten Ostertage.
Luc. 24, 13–35.

 BRüder, das gestrige Evangelium redete von einem Oster-Morgen, das heutige vom Abend des Ostertages. Welch ein Morgen, welch ein Abend, beide durch Offenbarung Seiner Auferstehung!

 Da gehen sie dahin, die allgemein beliebten Beiden, nach ihrem Emmaus und weinen und jammern. Als sie von dem großen Fremdling um die Ursach ihres Sauersehens und ihrer Melancholei gefragt werden, geben sie Antwort – und was für eine? Lauter österliche Nachricht, aber noch ohne österliche Freude. Sie streuen weinend eine Saat der Freuden, aber sie war ihnen selbst noch nicht aufgegangen zu ihrer Lust. So kann man reich sein und es nicht wißen, Kisten und Kästen voll haben und hungrig und durstig vor ihnen stehen. Aber es wird anders. Der Fremdling weiß diese Trauernden anzuregen, von ihren Trauerwinkeln hervorzulocken und durch Seine Reden ein Morgenroth der Hoffnung und der Freude in ihren Seelen zu wecken. Ihre Herzen wurden brennend! Das war das Feuer der Hoffnung, welches entbrannte, – und die Hoffnung eines ewigen Lebens und der Auferstehung hat überall, auch noch jetzt, wenn sie die Seele ergreift, die Macht, die Traurigkeit zu tödten und die Seele zu erquicken, Frühling, Leben und Feuer zu entzünden. Doch dabei bleibts nicht.

 Da gehen sie nun am Abend hinein nach Emmaus. Der heimathliche, wunderbare Fremdling läßt sich halten; Er geht mit hinein – und es wird das Mahl gehalten. Er ist der Gast, aber Er hat bereits hausväterliche Stellung; ob man es Ihm zugeschoben hat, ob es sich wie von selbst fügte, ich weiß es nicht; aber Er spricht das Tischgebet, den Speisesegen. Er nimmt das Brot in Seine gebenedeiten, heiligen Hände; Er hebt mit den Broten die Hände, die Augen. Seiner Geberde folgen die beiden mit den Augen, und ihre Augen wurden nun aufgethan: sie erkannten den HErrn am Brotbrechen, – ihr Ostern war gekommen. Ihr brennendes Herz fand die volle Genüge, das stille, selige Ruhen, Leben und Weben in Seinem Schooße, das kräftige Leben unter Seiner lebensvollen Hand.

 Das Wort entzündet die Herzen für die Osterfreude, und mit Seinem Brotbrechen wird ER Selbst erkannt von denen, die Sein Wort vernehmen. – Ich weiß, daß das Mahl, welches der HErr den

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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 350. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/358&oldid=- (Version vom 1.8.2018)