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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

Wie eilt sie sich zu scheiden von Dem, der sie mit Sich in seliger Religion vereinigen möchte, – wie hält sie auch den Saum Seiner Herrlichkeit, die Pracht Seiner Gnade durch Bann und Excommunication der Prediger und Boten von sich fern! Wie ist sie so eifrig, zu bannen, d. i. zu thun, was sie werth wäre, von dem HErrn zu erleiden, was sie mit Gebet und Flehen von sich abwenden sollte! Wie erspart sie durch ihr Scheiden dem Reiche der Liebe die bittere Mühe, sich von ihr, wie von einer hoffnungslosen zu scheiden! Wie bedauernswerth ist sie, die arme Welt, die Gottes Urtheil über sich selbst ausspricht und an sich selbst vollzieht! – – Aber wie nahe geht diese stolze Unempfänglichkeit der Verlorenen den Jüngern, die, weil ihre Friedensbotschaft verschmäht und ihre Personen darüber in den Staub getreten werden, dem sanftmüthigen Abel gleich, eine unschuldige Ursache werden müßen von desto schwererem Zorne Gottes gegen die Welt! Wohl werden sie über ihre Leiden getröstet; denn ihnen ist ja nichts Anderes geweißagt, sie haben unter keiner andern Aussicht ihr Botenamt übernommen. Aber die da hören, Leser, – die hören und nicht annehmen, lieber Bruder, – die dem ewigen Tode nahen Bettler, welche keine Speise noch Erquickung wollen! Gnädiger JEsu, über sie geben wir uns schwer zufrieden! – Ach, es ist unter allen Dingen das jammervollste, zu wißen: „Ich bin verloren!“ Aber nach diesem ist nichts dem Jammer gleich, der in den Worten liegt: „Du bist verloren!“


Am Pfingsttage.
I.
Joh. 14, 23–31.

 KLage nicht, Geliebter, daß du nicht damals lebtest, wo der Geist mit Brausen und Flammen die Kirche erfüllte, wo nichts leichter war, als Ihm leben, weil Er so nahe war, – nichts leichter, als sterben, weil man bei lebendigem Leibe schon in die Seligkeit versetzt war! Nicht Brausen, nicht Flammen, nicht Glück und Freude, reich wie Meereswogen, bedingen Seine Gnade, die beßer ist, als Leben. Jener erste Pfingsttag war ein Geburtstag der Kirche, herrlich und feierlich eingeläutet, unter Flammen mit Klängen vom Himmel eingeläutet. Aber auch der Geburtstag hat seine Wehen, seine Thränen, – und er ist doch nur der erste Tag des Lebens, welches länger währt, als nur einen Tag; der Lebenstag umfaßt ja viele Tage! Unser Pfingsten begann einst, aber es währt noch. Pfingsten bleibt, bis Himmel und Erde vergehen, – Pfingsten bleibt, wenn Himmel und Erde vergehen! – Du zweifelst? Ich aber glaube. Oder macht Brausen und Flamme selig, macht überschwängliche Erregung des innern Lebens, machen Wunder und Zeichen selig? Das glaubst du nicht, du selbst nicht, lieber Bruder! Was uns ewig selig macht, muß etwas Bleibendes sein! Der Gott, der uns ewig selig haben will, kann die Seligkeit nimmer an etwas gebunden haben, was nicht blieb! Er gebe uns nur, was uns selig macht, – und wir haben alle Tage Pfingsten!

 Was brauchen wir zum Seligwerden? Laß uns überlegen – und dabei bedenken, ob wir das noch haben. Laß uns dabei ins Evangelium sehen, ob es uns vielleicht Wahrheit zur Seligkeit zeige. Denn ich behaupte es zum voraus, dieß Evangelium ist in keiner andern Absicht für diesen Tag gewählt, als in der, ein dauerndes, bis ans Ende der Tage dauerndes Pfingsten zu lehren. –

 Es bleibet: 1) die Lehre, die vom Geiste stammt, das Wort der Wahrheit, welches uns frei macht von Finsternis und Blindheit, Vers 26. Oder ists nicht also? Gibt es keine Kirche mehr, welche die Wahrheit bezeugt hat, bewahrt hat und in ihrem Licht lebt? Kennst du keine?

 Es bleibet ferner: 2) die Erinnerung an das Wort des Geistes, welche selbst vom Geiste stammt, Vers 26. Oder hast du noch keine Erinnerungen an Gottes Wort empfunden? Kam dir nicht oftmals ein Wort des HErrn zu Sinne und mit ihm Licht und Ruh und Muth? Das ist vom HErrn, vom Geiste der bleibenden Pfingsten. Das ist ein Beweis, daß noch der Frühling des Geistes blüht!

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 359. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/367&oldid=- (Version vom 1.8.2018)