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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

bange Sorge, Klage und Jammer sind keine Zeichen eines Christenmenschen; sondern im Gegentheil Freude, Freude ist befohlen, Freude ist gegeben, Ursache der Freuden und Freudengeist ist vorhanden. Bei den Kindern der Welt ist eine Abwechselung von Freude und Traurigkeit, wie alles außer der Seele, so ist die Seele selbst und ihre Stimmungen dem Wechsel unterworfen. Auch bei den Kindern Gottes will dieses Wechseln der Eimer am Brunnen sich nicht aufheben laßen; es hält sich der Strick der Eimer gern an Gottes eigenen Worten fest. „Leidet Jemand, der bete; ist Jemand fröhlich, der singe Psalmen,“ sagt der heilige Jakobus, und scheint damit den allgemeinen Freuden- und Thränenwechsel auch für Gottes Volk fest zu halten. Allein etwas anderes ist es, zuzugeben, daß der Wechsel vorhanden ist, daß er auch fromme Christen anficht und sie in seinen Bereich zieht, auch Vorsorge zu treffen, Anweisung und Ermahnung zu geben, was in Freud und Leid zu beten und zu singen; etwas anderes ist es, diesen Wechsel für nothwendig und unvermeidlich zu erkennen. Das letztere thut Jacobus nicht, sondern nur das erstere. „Ein Christenherz auf Rosen geht, wenn’s mitten unter Dornen steht,“ reimt Martin Luther zu jedes Christenmenschen Freude. Ja und Amen. Und der HErr, dem Luther in seiner Weise nachlallt, sagte: „Eure Traurigkeit soll in Freude verwandelt werden,“ und: „Eure Freude soll niemand von euch nehmen.“ Der Apostel aber vermahnet ganz in seines ewigen Meisters Sinn: „Freuet euch allewege, – und abermal sage ich: Freuet euch.“ Also soll die Freude im Christenherzen die Traurigkeit je mehr und mehr verdrängen, je mehr und mehr die bleibende und die herrschende Seelenstimmung, ein Christenherz mehr und mehr der Vorhof ewiger Freuden werden. Wahrlich, meine Brüder, das ist eine hohe Lehre, und sie muß wahr sein obendrein, so hoch, so unmöglich, so unerreichbar ihr Inhalt zu sein scheint. Also ist es nicht möglich, daß die Jugend die Freude und das Alter die trübe Trauer habe; sondern das „Freuet euch allewege“ nimmt dem Alter die Berechtigung zum mürrischen Wesen, und gebietet, ja schenkt ihm, wie der Jugend, Freude. Also ist Armuth, Unglück, Krankheit, Kummer und Sorge, ja der Tod und der Teufel nicht berechtigt, die Christenfreude auszulöschen. Der Arme, der Unglückliche, der Kranke, der Kummervolle, der Sorgenvolle, der Angefochtene, der Sterbende: alle sollen sie Freude haben können und faßen können, – alle sollen sie in der Freude Heilung finden. Und wenn das Meer und die Waßerwogen brausen, die letzten Posaunen erschallen, die Zornesschalen der Offenbarung Johannis ausgegoßen werden, – wenn alle Geschlechter heulen und bange Verzweiflung die Welt ergreift, so ist auch das keine Ursache, der Freude Abschied zu geben, die Freude ist auch dann Königin, sonst gälte das „allewege“ des Apostels nicht; sie hebt dann die Häupter der Gläubigen wonnevoll auf, darum daß sich ihre Erlösung naht. – Ja, so muß es sein: eine Religion der Freude, der überwindenden, alle ihre Feinde niederkämpfenden, alleinberechtigten, dauernden, unsterblichen, ewigen Freude ist das Christenthum.

 Aber freilich, es ist das nicht die natürliche Freude, sondern eine übernatürliche, – nicht eine leibliche, sondern eine geistliche. Die Freude der Jugend, diese fröhliche Lust, ist wie die Jugend vergänglich, und sie muß niemand als eine wiederkehrende und alle Traurigkeit überwindende verheißen glauben. Die Freude des Glückes, des Lebensgenußes, die Freude der Freundschaft, der Brautzeit, die eheliche Freude, die Familienfreude, die gesellschaftliche Freude und wie sie alle heißen, die edleren und unedleren Freuden, die in vergänglichen Dingen gründen: sie haben keine ewige Verheißung. Sie sind Freuden, die ein jeder als Bestandteil und süße Würze seines täglichen Brotes und leiblichen Lebens hinnehmen darf und soll; aber sie halten wollen, sie beweinen, wenn sie gehen, unglücklich sein, wenn sie von hinnen genommen werden, das soll ein Christ nicht, eben weil er eine beßere, reinere, stärkere, größere, eine dauernde, eine ewige Freude kennt, die Freude im HErrn, die Freude in Christo.

 Die Freude in Christo ist eine Freude, welche mit der gläubigen Vereinigung mit Christo kommt und in ihr ihre ganzen Wurzeln hat, auf ihrem Boden erwächst, in ihrem Reiche Aeste, Zweige, Knospen, Blüten und Früchte treibt und bringt. Die Freude in Christo ist zunächst eine Freude an Ihm, an Seiner Gottheit und ewigen Einigkeit mit Vater und Geist, an Seiner Menschwerdung, an der Vereinigung der beiden Naturen zu Einer Person, an Seinem allerheiligsten, vollgiltigen, alleinseligmachenden Verdienst,

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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 030. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/37&oldid=- (Version vom 1.8.2018)