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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

die undurchdringlichen Geheimnisse der Gerichte und Wege Gottes gleichsam wie lichte Wolken vor den Pforten des allerhöchsten Geheimnisses, der allerheiligsten Dreifaltigkeit gelagert, sondern es schließt die apostolische Betrachtung geradezu mit Preis und Lob der allerheiligsten Dreieinigkeit selbst. Das „von Ihm, durch Ihn, zu Ihm“ redet ja nicht bloß von drei unterschiedenen Werken Gottes, sondern es weist auch auf die drei unterschiedenen Personen in der Einen Gottheit. Die Lobpreisung aber: „Ihm sei Ehre in die Ewigkeiten“ faßt nicht bloß alle Ehre der Werke Gottes zusammen, sondern auch die drei Personen zu Einem Wesen, dem alle Ehre gebührt. So geht man also durch die lichten Wolken, das ist durch die Geheimnisse des göttlichen Thuns, wie durch Vorhöfe anbetend hinein in den Tempel, in welchem das persönliche Geheimnis des göttlichen Wesens sich offenbart, und die Pfingstbetrachtung leitet also zur Betrachtung des Dreinigkeitsfestes.

 Wenn man nicht wüßte, meine lieben Brüder, daß die heutigen Texte älter sind, als die Feier eines besonderen Trinitatisfestes, so könnte man die heutige Textwahl für das Fest, das man feiert, völlig zu rechtfertigen suchen. Es gibt einen griechischen Dichter, welcher Lieder zu Ehren von ihm groß und hochgeachteter Menschen verfertigte; diese Lieder aber handeln nicht von diesen Menschen selbst, sondern zu Ehren derselben von andern Dingen, die man allenfalls in eine ehrende Beziehung auf die Helden sehen kann, denen das Lied gewidmet ist. Man hat diese Verfahrungsweise des Dichters sehr schicklich gefunden. So könnte man es auch schön und schicklich finden, daß an dem heutigen Tage nicht Lectionen gelesen werden, welche geradezu von den dreien Personen, oder der einen Gottheit handeln, sondern solche Texte, die von dem allerhöchsten Geheimnis ehrerbietig schweigen, zu Seinen Ehren aber von andern großen Geheimnissen, von den Geheimnissen der Wiedergeburt und des göttlichen Baues der Kirche in einer solchen Weise handeln, daß man alle Augenblicke an das allerhöchste Geheimnis des göttlichen Wesens zu denken sich veranlaßt sieht, zumal wenn man es bereits in anbetendem und feierndem Andenken trägt. Da liest man: „O welch eine Tiefe des Reichtums, beide der Weisheit und der Erkenntnis Gottes,“ und es erwacht an dem Gedanken der andere: O welch eine Tiefe des Wesens, der Offenbarung und der Erkenntnis des dreieinigen Gottes! Man liest: „Wie gar unbegreiflich sind Seine Gerichte und unausforschlich Seine Wege“, und neben diesem Ausruf dringt aus der Seele ein anderer: Und wie unbegreiflich bist Du selbst, Du ewiger, heiliger, dreieiniger Richter, und Du ewiger, barmherziger, dreieiniger Hirte und Führer Deines Volkes und Deiner Kirche. „Wer hat des HErrn Sinn erkannt,“ liest man weiter, „oder wer ist Sein Rathgeber gewesen, oder wer hat Ihm etwas zuvor gegeben, das Ihm wiedervergolten würde?“ Aus diesen Worten hebt sich alsbald die andere Rede: Und wer hat nicht Deinen Sinn, o HErr, sondern Dein Wesen erkannt, wer ist nicht Dein Rathgeber, nicht Dein Wohlthäter, nein, wer ist Dein Schüler, wer ist, Du ewiger Wohlthäter, Dein Kind und Mündel gewesen, der nur recht verstanden und gefaßt hätte, was Du bist, wer Du bist? Ist denn ein Mensch, ja ist denn ein Engel nur werth, genannt zu werden ein Auge, ein Ohr für Dich und Deine Offenbarung? Von Dir und durch Dich und zu Dir sind alle Dinge: das hören, das wißen wir und wißen es doch auch wieder nicht. Wie unbegreiflich, wie unausforschlich bist Du für uns arme Menschen! Dir sei Ehre in Ewigkeit!

 Nachdem wir unsern Text zu verstehen gesucht haben, sind wir an der Handleitung desselben bei dem Feste angekommen, das wir heute feiern. Dies Fest feiert nicht eine That des lebendigen Gottes, sondern das Geheimnis Seines Wesens und ist insofern das einzige in seiner Art. Es ist für die vergangene Festzeit, für die geschloßene Hälfte des Kirchenjahres wie ein mächtiges Siegel, welches in den Umrissen des Wappens, das es in sich hält, in den drei großen Namen: Vater, Sohn und Geist die Erinnerung an alles zusammenfaßt, was man von Advent bis Pfingsten gefeiert hat. Es ist aber auch nicht bloß ein Siegel für die vergangene Hälfte des Jahres, sondern auch ein herrlicher Anfang der zweiten Hälfte. Hindurchgedrungen bis zur Erkenntnis und dem Bekenntnis der göttlichen Dreieinigkeit, gestärkt durch so viel Feier in Furcht und Scheu vor dem Dreieinigen geht man der zweiten Hälfte des Kirchenjahres entgegen, bereit, durch eigene gute Werke die Zeit zu weihen, wie man sie im ersten halben Jahre vorzugsweise durch die Erinnerung an Gottes große Werke geweiht

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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 004. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/380&oldid=- (Version vom 1.8.2018)