Seite:Wilhelm Löhe - Epistel-Postille.pdf/389

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

Gottes, und von der schweren Scheidung des Menschen von der Welt. Es verschweigt dabei eine Seite, nemlich den Haß derjenigen, die sich um ihrer Aecker und Ochsen und Weiber willen von dem Leben dieser Welt nicht scheiden mögen. Diese verschwiegene Seite der Kirchengeschichte tritt nun aber gerade in unserem epistolischen Texte hervor, der von dem Haße der Welt, aber auch von der Liebe Gottes zu Seinen Kindern und der Kinder Gottes zu einander spricht. Die der Einladung des HErrn zu Seinem himmlischen Mahle folgen, genießen Seine Liebe und geben sie andern zu genießen, erndten aber auch den heftigen brennenden Haß der Welt. So ergänzt sich also aus der Epistel das Bild der Kirchengeschichte, welches im Evangelium gemalt ist, zugleich aber zeigt sich auch, wie in einem Spiegel, des reichen Mannes Liebesmangel und des armen Dulders Lazarus Leidensquelle, nemlich der Haß der Welt. – Laßt uns nun aber zu unserem Texte selbst gehen und seinen heiligen Inhalt beschauen, betrachten und anwenden.

 Unser Text handelt ganz offenbar von Haß und Liebe, vom Haße der Welt gegen die Christen und von der Liebe der Christen zu den Brüdern. Allerdings ist mehr die Rede von der Liebe, als vom Haß, doch aber springt der Gegensatz zwischen beiden so grell ins Auge, wenn man die Worte unserer Lection beschaut, daß man sich aus dem Texte nicht bloß die heiligen Reden von der Liebe, sondern auch die vom Haße merken muß. – Ein Blick in den Zusammenhang der drei ersten Textesverse zeigt uns deutlich, daß Haß und Tod zusammengestellt, als Wirkung aber des Haßes oder des Todes der Mord angegeben ist, der Brudermord, und der Verlust des ewigen Lebens. Umgekehrt, wird die Liebe mit dem Leben zusammengenommen und als Wirkung der Liebe oder des Lebens die Aufopferung hingestellt, die den eigenen Leib und das eigene Leben, dazu auch alle Güter dieser Zeit für den Bruder dahingeben kann und sich gedrungen fühlt, demselben in That und Wahrheit Beweis von ihrem Dasein und ihrer Inbrunst zu geben. In diesen so eben vorgelegten Gedanken von Haß und Liebe vollendet sich der Inhalt unserer ganzen Epistel, wenigstens der Hauptsache nach, und wir werden, ehe wir noch die Anwendung vorlegen, welche in diesem Texte von den vorgelegten Sätzen gemacht wird, sie selbst vorher ins Auge faßen und genauer erörtern müßen.

 Haß ist Tod, sagten wir. Wir wiederholten damit nur das unwiderlegliche Urtheil unseres Textes, denn nicht bloß sagt der 14. Vers von denen, die die Brüder lieben, „sie seien vom Tode zum Leben hindurchgedrungen“, sondern es wird auch von denen, die die Brüder nicht lieben, gesagt, daß sie „im Tode bleiben“. Die reine Erwägung dieser Stellen kann einen jeden überzeugen, daß nach dem Sinne des heiligen Jüngers Johannes jedenfalls Haß und Tod entweder gleichbedeutend sind, oder der Haß als eine Ausgeburt des Todes dargestellt wird. Nicht minder klar ist aus unserem Texte der andere Satz, welchen ich euch vorlegte, daß der Haß, wie er eine Ausgeburt des Todes ist, oder der Tod selber, seinerseits auch wieder tödtet. Denn ausdrücklich sagt der 15. Vers: „Wer seinen Bruder haßet, der ist ein Todtschläger.“ Selbst todt, schlägt also auch der Haß todt, gleich viel, in welcher Weise, gleichviel, wo er sein Werk beginnt, am Leibe, oder aber an der Seele.

 Endlich bedürfen wir auch nur einige Worte unseres Textes anzuführen, um einem jeden die Ueberzeugung zu verschaffen, daß ein Haßender nicht selig werden kann. Es heißt ja: „wer seinen Bruder haßet, der ist ein Todtschläger, und ihr wißet, daß ein Todtschläger das ewige Leben nicht hat bei ihm bleibend.“ Es ist also möglich, daß jemand bereits das ewige Leben in sich trage, dann aber in Haß verfalle und damit dieß ewige Leben wieder aus sich selbst verjage. So wären also alle unsere Sätze, die wir vom Haße aufgestellt haben, als wahr und richtig bewiesen.

 Ebenso ist es mit dem, was wir von der Liebe behauptet haben. Liebe ist Leben; wer kann diesen Satz leugnen, wenn er die Stelle unseres Textes liest: „Wir wißen, daß wir vom Tode zum Leben hindurchgedrungen sind, denn wir lieben die Brüder.“ Also wer die Brüder liebt, der lebt, und wenn er zuvor todt war, also haßte, und den Haß mit der Liebe vertauschte, so ist er vom Tode zum Leben durchgedrungen. Gleichwie aber der Haß nicht bloß todt ist, sondern auch tödtet, so ist die Liebe nicht bloß Leben, sondern sie vermag es auch das Leben und alle seine Güter, zum Zeugnis ihres Daseins

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 013. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/389&oldid=- (Version vom 1.8.2018)