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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

unter allen, kann hier die Rede nicht sein, wenn man auch allerdings eine kummervolle Lage des irdischen Lebens nach Aehnlichkeit mit dieser unserer Stelle eine gewaltige Hand Gottes nennen kann. Die Sorgen, welche die Christen haben konnten, betrafen wohl andere Dinge, den Haß der Welt, die große Schwierigkeit in der Welt auszuhalten, und unter immerwährenden schweren Versuchungen dem HErrn treu zu sein, die zunehmende Hitze der Verfolgung, den heißen Streit der Pilgrime JEsu und deßen seliges Gelingen. Die gewaltige Hand Gottes ist daher zunächst wohl nichts anderes, als die Last und Bürde, die christliche Herzen bei dem unvermeidlichen Umgange mit Kindern dieser Welt auf sich nehmen müßen. Schon die gewöhnlichen Lebensleiden, die der Christ mit allen Menschen gemein hat, haben eine anfechtende und versuchende Kraft. Oft entschwindet dem Menschen auch unter Lasten, die er mit allen gemein hat, alle Lust und Freudigkeit zu leben. Noch stärker aber fechten die eigentlichen Christenleiden an, der Haß der Welt, die Macht des Teufels. Man kann es oft nicht faßen, daß den auserwählten Fremdlingen Gottes mit Seinem eigenen Willen so große Noth zukommen kann; noch weniger aber kann man es glauben, daß sich einem darinnen die Hand Gottes selbst nahe, und daß der Druck, der sich auf Haupt und Schulter legt, ein Druck Seiner Hand ist. Es gehören offne Augen und ein sehr williges getrostes Herz dazu, um in solchem Rauch, der uns das Auge, ja das Herz beleidigt, den Gang des Gottes zu erkennen, der uns zur Vollendung führt. Weit geneigter sind wir unter solchen Umständen, uns den Sorgen zu ergeben, hinzubrüten, zu seufzen und zu weinen und unter der Last zu zagen, ja unter dem ehernen Kreuze zu verzweifeln, welches uns Gottes segnende Hand auferlegt. Die segnende Hand soll nicht drücken, so meinen wir; drückt sie, so segnet sie nicht; nur bei süßen Gefühlen und sanftem Wohlthun Gottes glauben die Meisten an die Nähe eines menschenfreundlichen und leutseligen Gottes. Dem allen gegenüber soll man das Kreuz auf sich nehmen, die Sorge dem HErrn übergeben, und sich unter Seine Vaterhand beugen, auch wenn sie wehe thut und schwer ist. Ein solches Aufgeben des Leides und Seelenwehes, eine solche Freudigkeit zu Gott auch unter schweren Umständen, eine solche Bereitschaft zu dulden, zu tragen und auszuharren, versteht der Apostel unter den Worten: „Erniedrigt euch unter die gewaltige Hand des HErrn.“ Kreuz auf die Schulter nehmen, Lasten tragen, Gottes Willen leiden, des HErren Wege gehen, ist allerdings recht verstanden keine Erniedrigung. So geht man aufwärts, so geht man vorwärts, so wird man ein Schauspiel Gottes und Seiner Engel. Doch aber pflegt unser Gefühl das einer Erniedrigung zu sein, und wenn auch der Mensch zu seiner eigenen größten Erleichterung nicht mehr sorgt, weil Gott für ihn sorgt, so deucht es ihm, wie wenn er sich in wundersgroße Tiefen senken ließe, da doch schon hierin Freiheit und der Anfang einer seligen Erhöhung liegt. Da sollen nun eben die Christen die rechte Ansicht der Sache lernen und fest halten, in ihr Gefühl der Erniedrigung hinabsteigen und sich in die Noth ihres Lebens versenken laßen und dabei wißen, daß dies auch der Weg ist, erhöht zu werden zu seiner Zeit. – Erhöht werden, das ist also das Gegentheil von der Erniedrigung. Ist die Erniedrigung eine Hinnahme des Kreuzes, um Christi willen getragen, so ist also die Erhöhung eine Befreiung von dieser Noth und eine Einführung in jene freudige Sicherheit und volle Ruhe der Kinder Gottes, auf die wir warten und die da eintreten wird zu Gottes Zeit und Stunde. Ehe diese Zeit und Stunde kommt, gibt es keine Ruhe für den Christen, es geht alle Wege nach dem Worte Christi: „In der Welt habt ihr Angst.“ Es kommt aber allerdings einmal eine andere Zeit, am Ende der Tage, nachdem der Antichrist bezwungen ist und dort in der ewigen Ruhe der Heiligen, wo kein Leid, kein Geschrei und keine Thränen mehr sein werden, sondern Gott alle Zähren von den Angesichtern der Seinen abwischen wird. Auf diese Zeit haben wir zu hoffen und zu warten; bis sie kommt aber, unser Kreuz zu tragen und unsere Sehnsucht nach vollkommener Ruhe und Frieden zu beherrschen. – Es heißt auch, wir sollen uns demüthigen, auf daß uns Gott erhöhe. Also verdient zwar niemand die Erhöhung mit Seiner Demüthigung und Hingebung, aber es wird doch keiner erhoben, bevor er gedemüthigt ist, und unter allen seligen Christen und herrlichen Siegern ist keiner, der anders, als durch viel Trübsal ins Reich Gottes eingegangen ist: das ist der Weg, einen anderen gibt es nicht. Wer anders gemeint hat, der laße seinen

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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 019. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/395&oldid=- (Version vom 1.8.2018)