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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

 Keine Antwort? Kein Ja, Ja? – Tiefe Stille? – Freunde, etwas in euch antwortet; euer Gewißen bezeuget euch, daß es so sein, daß Lindigkeit der Freude folgen sollte. Eine Ueberzeugung habt ihr, innerlich seid ihr überwunden und geschlagen; ja, ich weiß und bin überzeugt, daß ihr noch mehr überwunden seid, daß eure Ueberzeugung weiter greift, daß sie zwei Worte einschließt, die ich noch nicht erwähnt habe, nämlich die Worte: „Allen Menschen.“ „Eure Lindigkeit laßt kund werden allen Menschen“ – also den Freunden und den Feinden, denen welche innig nahe sind, und welche ferne stehen, mit Gleichgiltigkeit, mit Verachtung und Geringschätzung angesehen wurden, – also den Hochverehrten, den Mächtigen, Gebildeten, Reichen, den Hohen der Gesellschaft – und den Geringen, Niedrigen, Armen, Rohen, Ungebildeten, Ungezogenen, den groben Sündern, – also den Christen, Juden und Heiden. Kurz, die Freude im HErrn tödet jede Ausnahme der Lindigkeit, sie kennt außer dem Teufel und seinen Verlorenen keinen, dem nicht in irgend einer Weise unsre Lindigkeit gehört und wo es immer sein mag, auch offenbar werden soll. Und keine Art von Lindigkeit ist ausgeschloßen, jede ist in der Freude eingeschloßen, jede vom Apostel befohlen: die Lindigkeit des Herzens, des Auges, der Geberde, der Rede, der That, – Geben und Vergeben, Rathen und Helfen, Dienen und Gehorchen, Entschuldigen, Gutes reden, alles zum Besten kehren, – alles, alles ist eingeschloßen. Und es soll nicht verborgen sein, nicht verborgen und umhüllt, nicht namenlos und in der Stille, sondern in Demut kund werden allen Menschen, auf daß sie alle die guten Werke sehen, den Vater im Himmel preisen und nach der Freude verlangen, welche die Menschenherzen so lind und mild macht.

 Ich irre mich nicht, meine Freunde, ihr seid da von auch überzeugt; ihr zweifelt nicht, daß es so sein sollte, daß die Erinnerung an den HErrn und an Seine Nähe, an Sein baldiges Kommen dazu antreiben und die Freude am HErrn dazu befähigen könne. – Aber nicht wahr? vom Soll bis zum Thun, von der Schuld bis zur Bezahlung ist ein weiter Weg. Darum vergeßt nicht, daß geschrieben steht: „Ich vermag alles durch den, der mich mächtig macht, Christus.“ Und laßt euch ins Ohr und bis in die Seele schallen das Wort: „Die Freude am HErrn sei eure Stärke!


 Wenn dem Menschen ein hohes Ziel der Vollendung vorgehalten wird, zu welchem er gelangen soll und durch Gnade seines himmlischen Berufers auch gelangen kann, nach seinem bisherigen Thun und Treiben aber nicht gelangt ist; so liegt für ihn in dem Vorhalt ein empfindlicher Vorwurf. Demnach kann man auch nicht leugnen, daß in der hohen Forderung eines freudenreichen und gelinden Herzens für viele arme Christen viel Vorwurf liegt. Wie mancher kann von einer Predigt dieser Art mit einer tiefen Wunde heimgehen, statt daß er ermuntert und gekräftigt zu allem Guten das Gotteshaus verläßt. Aber dafür ist auch St. Paulus, der Menschenkenner, der erfahrene Seelenfreund, bei allen seinen Ermahnungen darauf bedacht, daß er Barmherzigkeit mit den Schwachen habe und den Müden und Matten den schmalen Weg nicht allzusteil mache. Das ist denn auch in dieser Epistel der Fall. Zur Freude hat er die Gemeinde aufgerufen: kennt er etwa die Freudentöderin nicht, die mistrauische, welche sich unter allerlei Formen und schönen Namen in das Herz auch der Gläubigen einnistet? Ich meine die Sorge. Und weiß er etwa nicht, daß sie es gleichfalls ist, die hart, karg und selbstsüchtig nur auf das Ihrige sieht und keine Möglichkeit voraussieht, wie sie, um andern lind zu sein, selbst etwas entbehren könne? Er kennt die Sorge. Er weiß, wie anspruchsvoll sie sich aufs Mitleid und die Teilnahme aller Menschen beruft, wie ihre kummervollen Thränen die Thräne anerkennenden Mitgefühls erheischen. Da steht sie, wie ein Weib im Trauerkleide, blind und ärmer dem Gefühle als der Wahrheit nach. Wie wirds uns gehen, klagt sie. Was sollen wir essen und trinken, so lange wir leben, womit uns kleiden? Wer wird uns in der harten Zeit bewahren, und unsre Kindlein? unsre Eltern, Geschwister, Freunde? Und ob wir uns durchs Jammerthal schleppten, werden wir Glauben halten, werden wir nicht zu Fall kommen – und ach, unsre Kinder? Und die Todesstunde, die ernste, bange, folgenreiche? Die Ewigkeit, die Schrecken des Gerichts, der Urteilsspruch, das unerbittliche Auge des Richters, sein gestrenger Mund! Wie klug, wie fürsichtig,

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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 033. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/40&oldid=- (Version vom 1.8.2018)