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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

werden.“ Schon hier ist von Leiden und Verherrlichung die Rede. Darauf fährt der Apostel in unserem Texte weiter fort und sagt: „Ich achte, daß dieser Zeit Leiden nicht werth seien der Herrlichkeit, die an uns soll geoffenbart werden.“ Bei Versen, wie dieser, der von den Leiden handelt, ist nichts gewöhnlicher, als daß man an die allen Menschen, sie seien Christen, Heiden oder Juden gemeinsamen Leiden und Wechselfälle des irdischen Lebens denkt. Ja so gewöhnlich und allgemein ist die Anwendung solcher Verse auf Krankheit, Armuth, Kummer und Nahrungssorge, daß derjenige, welcher das Recht zu dieser Anwendung zu bestreiten wagt, wie ein Mensch angesehen wird, der seinen Brüdern den noch vorhandenen einzigen Trost unbarmherzig raubt; und doch redet nun einmal der Apostel weder in diesem noch in vielen andern ähnlichen Versen von dem allgemeinen Lebensloose menschlicher Leiden, und man kann sich die allgemeine Gewohnheit, die angedeuteten apostolischen Stellen so auszulegen, nur dadurch erklären, daß die Bekanntschaft mit denjenigen Leiden, von welchen der Apostel redet, bei uns wie verloren gegangen ist. Würde man die Leiden, von denen die Rede ist, aus Erfahrung kennen, so würde man sich keine falsche Auslegung unterschieben laßen, sondern sich den Trost vorbehalten und bewahren, welcher uns in solchen Stellen für eine hohe Nothdurft unserer Seelen hinterlegt ist. Die Leiden des heutigen Textes sind nun einmal nur Christenleiden: Leiden, die der Gläubige um Christi willen von den Ungläubigen und Feinden des Christentums zu erdulden hat. Nur sie stehen zu der dereinstigen Herrlichkeit in Beziehung, weil auch die Herrlichkeit nur eine Herrlichkeit Christi ist, von welcher wir Miterben genannt werden, sofern wir mit Ihm, das ist, um Seinetwillen leiden. Wenn nun der Apostel sagt, diese Leiden seien im Vergleiche gegen die zukünftige Herrlichkeit gar nicht zu rechnen, so werden wir, noch ehe wir uns besonnen haben, wie groß die Herrlichkeit ist, doch schon geneigt werden, ihm beizutreten, weil wir bekanntlich um Christi willen nichts leiden. Wir thun nichts um Christi willen: darum leiden wir nichts um Christi willen; wir entbehren Seinethalben nichts, so wird uns auch von der Welt nichts zu tragen auferlegt. Unser Leben ist kein helles unmisverständliches Bekenntnis und Zeugnis von der Ehre Christi; darum hat die Welt und ihr Fürst auch keine Ursache, uns deshalb anzugreifen. Der alte böse Feind lebt noch, wie der alte Gott noch lebt; er hat aber keine Ursache, seine Feindschaft zu beweisen, wenn wir ihm nicht durch ein tatsächliches Bekenntnis des Sohnes Gottes, unseres Erlösers, einen Anlaß dazu geben. Es war aber allerdings einmal eine andere Zeit, oder viel beßer, es gab andere Zeiten, und es wird auch in der Zukunft andere Zeiten geben, Zeiten des Bekenntnisses und von Gott gewirkten Zeugnisses JEsu, Zeiten des Angriffs auf das Reich dieser Welt. Wo überall solche Zeiten sind und eintreten, da gibt es auch Leiden der in unserem Texte besprochenen Art; Leiden, die in demselbigen Maaße mehr entbrennen, in welchem die Kirche ihre Treue im Bekenntnis erweist. Brennen die Leiden, wird Leib und Seele von ihren heißen Schmerzen ergriffen, dann gewinnt auch die Vergleichung zwischen ihnen und der zukünftigen Herrlichkeit, die in unserem Texte angestellt ist, eine ganz andere Kraft und Bedeutung. Es lautet ganz anders, wenn man zu einem Laurentius oder Vincentius, welche in ihrer feurigen Todesqual auszuharren haben, die Worte des heiligen Paulus sagt: dieser Zeit Leiden sind der zukünftigen Herrlichkeit nicht werth, gegen sie gar nicht zu rechnen. Da muß man die Augen weit aufthun, um die Größe der zukünftigen Herrlichkeit einzulaßen. Da findet man sich angetrieben, die Schriftstellen, welche von dieser Herrlichkeit handeln, wie einen Straus zusammenzubinden, um sich an dem prächtigen Farbenglanz und dem süßen Dufte der zukünftigen Welt zu laben und dadurch die arme müde Seele zur Geduld und zum Ausharren in großer Noth zu stärken. Da hat man dann auch eine Gelegenheit, die Lehre von der Seligkeit allein aus dem Glauben zu stärken und das Wörtchen des heiligen Paulus „nicht werth“ der zukünftigen Herrlichkeit anzuwenden und zu erproben. Wenn du um Christi willen nichts leidest, so kannst du leicht sagen „nicht werth“, und zwar ohne alle Tugend. Aber wenn du Laurentii oder Vincentii Leiden hinzuzunehmen hättest oder auch nur die Folter, wie sie in den Zeiten der Märtyrer so oftmals zu erdulden war, da würdest du freilich ein ganz anderes Licht und eine ganz andere Einsicht in die Größe der Gnade und der ewigen Herrlichkeit bedürfen, um mit

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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 027. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/403&oldid=- (Version vom 1.8.2018)