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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

Hoffnung, denn auch sie selbst, die Schöpfung, werde dermaleins wieder befreit werden von der Sklaverei der Verwesung und des Verderbnisses, und zwar, wie er dazu setzt, zu der Freiheit der Herrlichkeit, zu der herrlichen Freiheit der Kinder Gottes. Es wird also auch einmal eine unverwesliche Schöpfung geben, einen ewig unvergänglichen Himmel und in demselben eine ewig unvergängliche Erde mit eben so mannigfaltigen als unvergänglichen und unverderblichen Formen und Gestalten. Hier stehen wir vor einer großen Zukunft, über die wir wenig wißen, wenn uns auch Vermuthungen und Wahrscheinlichkeiten wie ein Meer zuströmen. Was läßt sich da alles Herrliches träumen und phantasieren! – Welch eine vollkommene selige herrliche Welt kannst du dir da im Gegensatz zu dem jetzigen Jammerthal aufzubauen suchen! – Und doch muß eben so gewis die dereinstige Wirklichkeit über allen Bau unserer Gedanken erhaben sein, als Gott über uns Menschen erhaben ist, Seine Gedanken und Wege unendlich höher sind, als die unsrigen. Was Er thun wird, wird die kühnsten Gedankengebilde des menschlichen Geistes übertreffen, und diese zukünftige unaussprechliche Herrlichkeit der Creatur ist rein eine Folge unserer eigenen Verherrlichung, wie unser Text lehrt, und hängt ganz und gar von ihr ab. Wir gehen dahin durch die Prüfung des Todes, und legen unsere Hütte in die Erde nieder zu der ganzen Versammlung aller Creaturen, die auf Hoffnung der Eitelkeit und dem Verderben unterthan ist. Aber es kommt ein Tag, da wird der ewige große Schöpfer unseren verwesten aufgelösten Leib erneuern, und was in nichts zergangen schien, zur Unverweslichkeit und ewigen Herrlichkeit verklären. Welch ein Triumph über den Tod, der also nicht bloß Gottes Creatur nicht zerstören konnte, sondern im Gegentheil Anlaß zu deren himmlischen Verklärung bot. Wenn dann die Leiber der Heiligen wie Erstlinge der ganzen Materie eingegangen sein werden in ein ewiges Dasein, wenn sie unserer selbst geheiligten Seelen würdige Genoßen und Gefäße, also gleichsam durchleuchtig und durchgeistet sein werden, dann wird auch die gesammte Natur einem Prozeße der Läuterung und Erneuerung entgegen gehen durchs Feuer des Endes, und der HErr wird einen neuen Himmel und eine neue Erde schaffen, auf welcher Gerechtigkeit wohnet. Wenn wir von einem neuen Himmel und einer neuen Erde lesen, ohne daß wir Stellen hätten, wie die heutige, in denen ausdrücklich gelehrt wird, daß die Natur eine Hoffnung hat, daß sie vom Dienste der Vergänglichkeit befreit und in die Theilnahme an der Herrlichkeit der Kinder Gottes eingeführt werden solle; so würden wir denken, es müße am jüngsten Tage ganz und gar aus sein mit aller Creatur. Diese Stellen aber lehren uns, daß es der gesammten Natur gehen werde wie unseren Leibern, daß zwar auch sie werde aufgelöst werden, daß aber dennoch der HErr, der den Menschenleib aus der Verwesung wiederbringt, auch sie herwiederbringen wird und ihre Zernichtung zu einem verklärten wunderbaren Neubau benützen. Da wird dann der neue Himmel und die neue Erde sein wie unsere neuen Leiber, nemlich wesentlich das Vorige und Alte, wenn auch fast bis zu einer für Menschen, wie wir jetzt sind, unkenntlichen Herrlichkeit und Aehnlichkeit erneut. Was ist das für eine wunderbar schöne Lehre, meine lieben Brüder, die der leiblichen Natur eine ewige Hoffnung gibt und alles, was Gott geschaffen hat, unsterblich macht! Der Sohn Gottes, Seine Braut, die Kirche, und die ganze Natur haben einerlei Loos und Schicksal hier und dort, und geht alles in Zeit und Ewigkeit einerlei Weg des HErrn.

 Und doch enthält unser Text noch eine Lehre, die möglicherweise dem einen oder dem andern unter uns noch wunderbarer und fast unglaublich erscheinen könnte. Ich meine die Lehre und Offenbarung von der Sehnsucht aller Creaturen.

  Der heilige Paulus sagt Vers 19 nach Luthers Uebersetzung: „Das ängstliche Harren der Creatur wartet auf die Offenbarung der Kinder Gottes.“ Und im 22ten Vers schreibt er: „Wir wißen, daß alle Creatur sehnet sich mit uns und ängstet sich noch immerdar.“ Es ist also wirklich und ganz unverkennbar von einem ängstlichen Harren und Warten der Creatur, von einer Sehnsucht und Aengstigung derselben die Rede, und zwar wird diese Sehnsucht, dies Warten und Harren und sich Aengstigen um die kommende beßere Zeit nicht als bloße Meinung und Ansicht eines Apostels hingestellt, sondern als Wißenschaft der ganzen Kirche. „Wir wißen“ daß es also ist, sagt der Apostel. Wer also seine Vernunft gefangen nimmt unter den Gehorsam des Glaubens und dem göttlichen Worte in

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 029. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/405&oldid=- (Version vom 1.8.2018)