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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

allen Fällen Recht gibt, der kann nicht erst eine Ueberlegung anstellen, ob er der Creatur eine Sehnsucht zuschreiben darf oder nicht, sondern er muß sich das Wißen der Kirche zueignen im Glauben, und der apostolischen Rede ohne Angst und Wanken folgen. Dabei können wir allerdings nicht läugnen, daß die Kirche in diesem Punkte mehr glaubt und weiß, als sie einzusehen vermag. Die Natur, die Schöpfung, die Creatur sehnt sich, harret, wartet, ängstigt sich um die Herrlichkeit nicht der Menschheit im Allgemeinen, sondern der Kinder Gottes, der Kirche. Während man also gerne das Reich der Natur vom Reiche der Gnade trennt, und das erstere wie theilnahmlos am zweiten hinstellt, finden wir den Apostel auf einem ganz anderen Wege. So ganz ist es ihm ein voller Ernst mit der Lehre Christi, daß die sanftmüthigen Kinder der Kirche das Erdreich besitzen und Herren der Natur werden sollen, daß der Natur so gar eine Art von Wißen davon, eine Freude daran, eine brünstige Sehnsucht darnach zugeschrieben wird. Sie ist nicht mit Willen der Eitelkeit unterthan, dem Verderben und der Verwesung unterworfen, sie fühlt die Knechtschaft, sie sehnt sich nach Befreiung, und wie ein Pferd in vollem Lauf mit langgestrecktem Halse, mit großem Auge, mit weiten Nüstern seinem Ziele entgegenschnaubt, so ist in der Natur nach Pauli Lehre ein Drängen und Treiben, ein Schnauben, ja eine Angst wie eines gebärenden Weibes der Zeit entgegen, wo Verderb und Verwesung aufhört und das unverwesliche, unverwelkliche, unvergängliche Leben der Herrlichkeit eintritt. Ja es ist wie ein Bewußtsein in der Natur, daß dieß Leben nur zur Zeit der Verherrlichung der Kinder Gottes eintreten werde, daß es ganz und gar von unserer eigenen Verklärung abhängen wird.

 Allerdings kann man von diesem Sehnen und Aengstigen Spuren suchen und finden, je länger man sich damit abgibt, desto mehr finden. Aber was liegt am Ende an unserem Bemerken, an unserem Finden, an unserer Mühe voll Ungewisheit und Täuschung, da wir ja ein Wißen besitzen, das über alle Zweifel erhaben ist, ein Wißen, für welches uns dermaleins der sichere Nachweis kommen wird, auch wenn wir hier nur wenig Einsicht bekommen konnten? Was soll uns auch ein Nachforschen nützen, da wir nicht mehr wie Adam im Paradiese mit unserem Geiste die Creatur durchdringen, ihr Wesen erforschen und den Geschöpfen Namen geben können, da wir von einem Geiste und deswegen von einem Wißen, Sehnen, Harren, Warten und Aengstigen der Natur gar keinen Begriff haben können. Die Sache ist erstaunlicher Art und bleibt am besten als göttliche Offenbarung ohne menschliche Zuthat stehen. Die Offenbarung ist deshalb nicht fruchtlos, denn sie öffnet uns ja den Blick für die Würde der Creatur, die uns nicht bloß verwandter und angehöriger, sondern auch gesegneter und als Erbin und Miterbin einer ewigen Hoffnung und Herrlichkeit erscheint. Sie hat ein verborgenes Leben, vermöge deßen sie uns ehrwürdig und groß werden, ja bereits die Sklavenketten der Eitelkeit abstreifend und als Theilhaberin der ewigen Herrlichkeit erscheinen kann. Darüber lächelt der Unglaube, während der Glaube triumphirt. Das Weltkind spottet, während die Kinder Gottes sich freuen und jauchzen über ein Wißen und eine Erkenntnis, die ihnen zu Theil wurden, ohne daß sie dieselben suchten und ihnen darbieten, was sie sich nie getraut hätten zu hoffen.

 Es ist übrigens in unserem Texte nicht bloß eine wunderbare Sehnsucht der Creatur gelehrt, sondern auch eine Sehnsucht der Kinder Gottes selber, die bereits des Geistes Erstlinge und im Glauben die Kindschaft Gottes empfangen haben, denn so lesen wir in dem letzten Verse unserer Epistel: „Nicht allein aber die Creatur, sondern auch wir selbst, die wir haben des Geistes Erstlinge, sehnen uns auch bei uns selbst nach der Kindschaft und warten auf unseres Leibes Erlösung.“ Die vernunftlose Creatur sehnt sich, dem Dienste der Eitelkeit entnommen und zum reinen Dienste Gottes verwendet zu werden. Ihr verwandt ist unser Leib, der einerlei Loos mit ihr hat, der Eitelkeit und der Verwesung unterworfen ist, und sich gefallen laßen muß, in seine Elemente aufgelöst und dahin gelegt zu werden in des Todes Staub. Je enger er mit unserer Seele verbunden ist, desto mehr nimmt unsere Seele an ihm Theil, und wenn wir das Seufzen und Sehnen der Creaturen außer uns weniger bemerken sollten, so tragen wir doch einen seufzenden Leib an uns selbst und sehnen uns mit ihm nach seiner Erlösung vom Dienste der Eitelkeit und der Verwesung. Obwohl wir des Geistes Erstlinge und im Glauben auch bereits die Kindschaft empfangen

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 030. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/406&oldid=- (Version vom 1.8.2018)