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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

Todesstoß geben und uns ein Wörtlein lehren kann, mit dem wir alle Anfechtung des Teufels und alle Angst verjagen – der Freud und Lindigkeit weite Thore öffnen!


Dies Wörtchen ist „Gottes-Friede.“

 Denkt an die Nacht, in welcher unser Heil geboren ist; denkt ans Hohe Lied der Engelschaaren. Was sangen sie? „Friede auf Erden.“ Merkt ihr, wie der Apostel mit den Engeln, die Erde mit dem Himmel übereinstimmt? Kann eine schönere Eintracht sein, als zwischen dem Gloria der Engel und diesem Texte, der so hehr, so schön, so tief in unsre Seelen niedersteigt, indem er, ich weiß nicht, soll ich sprechen, singt oder sagt, denn er redet himmlische Musik: „Der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft, bewahre euch Herzen und Sinne in Christo JEsu.“ –

 Der Krieg, welcher zwischen Gott und Menschen gewesen ist, ist begreiflich: wenn Gott gegen über der abfälligen Menschenwelt irgend etwas thut, wenn Er nicht verachtend an der tiefgefallenen vorübergeht, wenn Er sie in ihrem Falle hochschätzen will, so gibt es kaum etwas anderes als Krieg, Unfriede, Verwerfung, Verdammnis. Das ist begreiflich, das müßen alle Menschen, welche ein wenig offenen Sinn für Wahrheit haben, unterschreiben ohne sich zu besinnen. Aber der Friede, der Friede Gottes – mit den Menschen, über ihnen, in ihnen, das ist eine so erhabene Sache, daß sie für jede geschaffene Vernunft, nicht blos für die des Menschen zu hoch ist. Daß der Krieg aufgehoben, trotz der Sünde und wider sie Friede ist, Friede, als wäre nichts gesündigt, die Gerechtigkeit Gottes nicht verhöhnt, nicht herausgefordert, Friede ohne Verletzung der Gerechtigkeit und Heiligkeit, Friede zum Preis der Gerechtigkeit und Heiligkeit Gottes, sicherer, unumstößlicher Friede: das kann man wohl anbetend verehren, tief in der Seele bewegend rühmen, loben und preisen, aber begreifen kann man es nicht. Dieser Friede ist höher als alle Vernunft – dem Ursprung nach, welcher ist die Gnade Gottes, der widerspruchsloseste Widerspruch und zugleich der größte. Er ist unbegreiflich in Anbetracht der Herstellung desselben, der Ermöglichung: denn hier ist die Menschwerdung, die Opferung einer allerheiligsten Person, die Gott ist, und die Auferstehung eines Menschen, welcher todt ist, – die Menschwerdung, die, man mag die Vereinigung beider Naturen oder ihre Unterschiede betrachten, ein ewiges Meer voll lichter, aber dennoch unverstandener, voll erquickender, aber unergründlicher Klarheit ist. Dieser Friede ist unbegreiflich, in Betracht seiner Mittheilung an die Menschen durch die Rechtfertigung des armen Sünders vor Gott, durch die Absolution, durch Wort und Geist und Sakrament, durch das unbegreifliche Tasten, Fühlen und Faßen desselben vermöge des Glaubens. Es ist da, wie mit dem Leben selber: kein Mensch weiß es, wie Leib und Seele zusammengefüget sind und sich lösen; aber siehe, sie gehören zusammen, sie sind Eins, wer kann es leugnen? So weiß niemand, wie der Friede von dem Urgrund des väterlichen Herzens Gottes herniederthaut bis in das Herz des Sünders, wie ein schuldbewußtes, innerlich vom Wurm des bösen Gewißens angegriffenes Herz bis zu einer Ruhe genesen kann, welche Stand hält, auch wenn das Meer wüthet und wallet und die Berge sich ins Meer versenken. Kein Mensch weiß, wie die Unruhe selbst Ruhe und ein Herz voll Mistrauens und Krieges eitel Friede wird. Kein Mensch weiß es, aber es kann sein, es geschieht auch wirklich so. Es gibt einen solchen Frieden, der in Noth und Tod und in den Schrecken des jüngsten Tages besteht. Tiefe Verwunderung schwebt über der Tiefe einer solchen Seele, in welcher dies Meer des stolzesten Friedens schweigt und glänzt. Ja, was ist das, daß ein völliger, ein alle Creaturen umschlingender, ein ewiger Friede für meine Seele vorhanden, in meiner Seele ausgegoßen ist! Da schweigen alle Sorgen, da blühet und grünet Freude, da regt sich Freud und Mildigkeit, da sproßet jede Tugend, denn Gott hält Friede!

 Friede – und Christus. Kann man diese beiden trennen? Kann einer mit Herz und Sinn im Frieden Gottes bleiben, ohne daß er in Christo ist? Von wem sinnst, von wem denkst, von wem redest du, wenn es gilt, den Frieden Gottes zu preisen? Von Christo. Ohne Christum kein Friede. Bei Christo, durch Ihn, in Ihm Friede. „Er hat Friede gemacht am Kreuz.“ Das bleibt auch in Beziehung

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 035. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/42&oldid=- (Version vom 1.8.2018)