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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

Jetzt erst ist also der freie Römer frei, recht frei, denn er ist frei vom Regiment der Sünde, – und jetzt ists aus mit allem einseitigen, übertriebenen Lob der Freiheit, denn der freie Römer ist ein froher, seliger, geschworener Leibeigener der Gerechtigkeit und ihres Königs Christus.

 Auf daß nun aber die Freiheit von der Sünde und der Dienst der Gerechtigkeit desto mehr bestätigt würde, gibt der Apostel noch eine Belehrung von den Früchten des Sündendienstes und des Dienstes der Gerechtigkeit. „Was hattet ihr damals, was hattet ihr sonst für Frucht? Solche Dinge, deren ihr euch nun schämet; denn ihr Ende ist der Tod.“ „Denn der Sold der Sünde ist Tod.“ Sonst hatten sie keine Scham. Die Scham war erstorben und sie waren unverschämt geworden. Schamlosigkeit war der Heiden Art. Aber wenn auch die Unschuld Leibes und der Seele dahin ist, dahin, wie es scheinen könnte, auf Nimmerwiederkehr, der wunderbare Gott kann sie erstatten. Ist auch die Lilie der Reinigkeit gestorben, so erweckt der HErr aus ihrer Wurzel die blutrothe Rose einer glühenden Scham. Eingetaucht in tiefe Reue und in das Blut des HErrn erwacht das Gefühl und der Sinn für alles Heilige und Rechte wieder als Gefühl der Schande, die man sich zugezogen, als tiefe Scham. O diese Scham ist ein Morgenroth eines neuen Tages der Heiligung, eines Triumphtages der Gerechtigkeit über Unreinigkeit und gesetzloses Wesen. Dies Morgenroth ist nun über die Römer gekommen, sie schämen sich der Dinge, die sie begangen. Es geht ihnen, wie die Kirche singt: „Es erröthen meine Wangen, über dem, das ich begangen.“ Aber die Wangen erbleichen auch wieder. Beim Blick auf die Früchte des Sündendienstes, auf die Laster und Verbrechen werden sie unter den Thoren des neuen Jetzt roth; aber beim Blick in den Zustand, der vorhanden war, der bleibend, der von ewiger Dauer werden konnte, da, da erblaßen und erbleichen sie. Der Zustand ist Tod – und der Tod macht blaß den, der ihn leidet und der ihn sieht. Der Sold, die Bezahlung, welche die Sünde gibt, ist Tod; der leibliche Tod, doch ist von dem hier nicht die Rede, sondern von dem geistlichen Tode, der eine Folge und Frucht eines fortgesetzten Sünden- und Schandenlebens ist. Da stirbt allmählich alle Regung des Gewißens, nicht bemerkt wird die unheimliche Stumpfheit und Starrheit des innern Todes, der abgelebten Oede, die keine Freude mehr hat und nur in immer neuer Vollbringung alter Greuel einen Schein von Leben sucht und findet. Das zeigt St. Paul den Römern als Frucht des Sündendienstes. Diese Königin bettet alle ihre Sclaven in den Tod; – das will sie; unempfängliche, abgestorbene Herzen will sie haben für alles Beßere, Edlere, Schöne; faulen sollen alle Seelen im Schlamm und Wust der Sünde.

 Dem gegenüber steht so licht und hehr, so glücklich und selig die Frucht des Dienstes der Gerechtigkeit. „Knechte geworden Gottes, habt ihr nun eure Frucht zur Heiligung, als Ende aber ewiges Leben.“ „Die Gabe Gottes, Seine Gnadengabe in Christo JEsu ist ewiges Leben.“ Sowie der fortgesetzte Dienst der Sünde Erstorbenheit und Tod ist, so ist die Frucht treuen Dienstes der Gerechtigkeit, wie schon oben gesagt, Heiligung, – und die Gnadengabe, welche Gott in Christo JEsu und um Seinetwillen denen gibt, die in Geduld und guten Werken nach Heiligung und Vollendung streben, ist ewiges Leben. Dem geistlichen Tode hier steht gegenüber Heiligung, gegenüber dem ewigen Tode, der auf den zeitlichen geistlichen Tod folgt, steht ewiges Leben. Eine Stufenleiter ist gezeigt; Dienst der Gerechtigkeit – Heiligung – ewiges Leben. Ein Baum steht vor uns, herrlich und schön; die Wurzel ist in den Todeswunden JEsu, der Stamm ist Dienst der Gerechtigkeit, und doppelte Früchte trägt er, wie er mit seinen Zweigen Himmel und Erde erfüllt: hier trägt er Heiligung, dort ewiges Leben. Was für ein Wachsen und Früchtetragen ist das, meine lieben Brüder! Dem Römer muß doch sein Jetzt lieb werden, wenn er in Zeit und Ewigkeit solche Früchte hoffen, sehen und an sich erleben darf?! Und ein Apostel, der solche Verheißung geben kann und darf, der muß doch angenehme Worte reden und hoffen können, daß sein durchaus wahres Gleichnis von Knechtschaft und Freiheit Ort und Aufnahme in den Herzen finde?

 Die Römer aber sind entschlafen und daheim. Ihrer viele genießen nun ewig die Gnadengabe Gottes, die ihren Lebensgang, ihren Dienst der Gerechtigkeit, ihre Heiligung krönt. Wir aber leben. Wir können beides – die Früchte der Sünde und der Gerechtigkeit noch haben und empfangen und es ist daher

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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 048. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/424&oldid=- (Version vom 1.8.2018)