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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

darum kräftiges, heiteres, freudiges Leben war in ihnen. Wenn man es hingegen versucht, den Bekehrten unserer Tage diese apostolischen Worte zuzurufen, so werden sie dadurch nicht heiterer, nicht freudiger, nicht erquickter, es durchzuckt sie nicht, wie eine aufs Neue gefundene fröhliche Wahrheit, sondern man merkt es, sie werden geängstet, sie können sich die Worte nicht recht aneignen. Es ist schon wahr, es ist nicht mehr der alte Sclavendienst der Sünde vorhanden wie sonst, aber es ist eben doch kein rechter Abschluß, kein völliger und ganzer Bruch mit der Sünde, kein „Rein ab und Christo an“ vorhanden. Man dient der Gerechtigkeit mit bösem Gewißen, drum will es zu keiner Heiligung kommen, welche die Frucht des Dienstes der Gerechtigkeit sein soll, und das Ende, das ewige Leben, tritt so ferne. Es ist, wie wenn man noch immer am Scheidewege stände und sich mühte, den vollen, reinlichen Entschluß zu faßen, – wie wenn man sich noch immer unter den Thoren, welche das Gebiet der Sünde und Gerechtigkeit scheiden, auf dem Absatz herumdrehte und um sich selbst kreißend bald vor, bald rückwärts sähe, und schwindelnd, voll übelen Befindens, die Bilder des Sonst und Jetzt untereinander mengte.

 Ach wohl dem, bei welchem es anders steht, der wirklich gebrochen hat mit der Sünde und mit voller Entschiedenheit sich in den Dienst der Gerechtigkeit gestellt hat. Das ist ein freudiges, muthiges Leben; da wohnt man ja, wie auf Bergen der Freiheit, wo immer frische Lüfte wehen und der Dampf und Dunst der niederen Thäler keine Gewalt ausübt. Aber was soll man denn anfangen, wenn es eben nicht so ist, wenn man merkt, daß man zur römischen Gemeinde der Lebenstage Pauli nicht gehört, sondern daß man ein recht armer, schwacher, schwebender Bekehrter des neunzehnten Jahrhunderts ist, dem bange Wehmuth und bittre Thränen kommen, wenn man von seinem Glücke redet, daß es doch nicht mehr ist, wie sonst? – Die Antwort auf diese Frage läßt sich doppelt geben, einmal für die seltenen Ausnahmschristen, die den Römern gleichen und die schwachen Leute Christi, wie sie jetzt sind, beurtheilen wollen oder sollen, dann aber für die letzteren selbst.

 Voran den ersteren zu dienen, müßen wir zur Geduld ermahnen. Der HErr erbarmt Sich der Schwächlinge. Wer einige Erfahrung hat, der weiß, wie wahr das ist. Wie geht der gute Hirte den unreinen, unentschiedenen Seelen nach! Wie unverkennbar ist es, daß er sie nicht schnell in die Verstockung hingibt, nicht schnell den Prozeß für und wider zu Ende bringt, sondern die Angst, die Sehnsucht, das Ringen solcher Seelen oft Jahrzehnte lang erhält, und wenn auch ihr Gericht nicht schnell hinausgeführt wird zum Siege, doch auch nicht zuläßt, daß es schnell ende zum vollen Rückfall und zur Sclaverei der Sünde. Es geht vielleicht der Weg der meisten langsam vorwärts, durch tiefen Koth zum frischen Waßer, durch viel anklebende Unreinigkeit zur Heiligung. Ihr Leben ist ein Dienst der Gerechtigkeit, ein helles Auge sieht auch einigen Fortschritt zur Heiligung, aber es ist eben ein schwerer Dienst und man erkennt mehr Last als Lust daran. Da muß man denn nicht schnell müde werden, nicht schnell die Hoffnung für solche Kämpfer wegwerfen, nicht schnell die Fürbitte unterlaßen, sondern ausharren, ob es auch lange währe und hart hergehe. Es ist oft in einem so schweren, mühseligen Kampf in Staub und Schmutz der Seele eine verborgene Herrlichkeit, die größer ist und Gott vor Seinen Engeln größere Ehre bringt, als manch schneller Entscheidungskampf fürs Gute. Mancher Mensch hat viel größere innere und äußere Hindernisse zu bekämpfen, so daß sein kleiner Fortschritt größer ist in Wahrheit, als der scheinbar größere des schnellen, viel weniger aufgehaltenen Kämpfers. Pelagius hat leichten, Augustinus schweren Kampf; aber weßen Sieg, weßen Vollendung ist größer? Wer hat von beiden die gewissere Frucht der Heiligung und des ewigen Lebens? – Drum sei langsam zum Reden, zur Ungeduld, zum Zorn, und lerne dich lieber selbst genauer kennen und beurtheilen, als daß du andere in ihrem thränenvollen Kampfe tadelst, richtest und verdammst.

 Die Antwort für die harten Kämpfer selbst könnte man, wenn sie getröstet werden sollen, ähnlich geben. Auch sie dürfen um alles nicht verzagen. Ob es auch hart hergehe, wirf nur die Waffen nicht weg. Ergib dich nur der Sünde nicht. Kannst du nicht siegreich leben oder sterben, so laß dich wenigstens immer auf deinem Posten finden und die Waffen in der Hand. Es geht oft lange schwer. Lust und Trägheit lasten oft lang; einmal wendet und endet sichs doch. Das Herz wird allmählich reiner, das

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 050. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/426&oldid=- (Version vom 1.8.2018)