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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

köstliche Ding, fest zu werden im Herzen, einen neuen gewissen Geist zu faßen, wird doch einmal gegeben. Es wird oft Licht am Abend und schön Wetter, ehe die Sonne untergeht. – Jedoch handelt sichs nicht bloß um den Trost der Müden, sondern auch um ihre Ermuthigung und Ermunterung zum guten Kampf. Da bleibts denn wahr, daß die armen Kämpfer auch ihr Theil gar oft versäumen. Der Mensch, welcher unter den Einflüßen der Taufe und des göttlichen Wortes steht, – und von der Art sind ja die, welche auch nur unter den Pforten des Sonst und Jetzt stehen, – hat einen neuen Willen und eine ihm beigelegte neue göttliche Kraft, die er erkennen, faßen und brauchen kann, oder auch nicht. Es gibt psychische Stimmungen, die alle Anwendung der göttlichen Gnadenkräfte aufhalten, so wie es auch eine Trägheit und Schwachheit der Seele gibt, die krankhaft, aber mächtig ist, unbenützt hinzuwerfen, was Gott darbeut. Da müßen denn müde Kämpfer auf ihre wahre Lage, auf ihren beßeren Willen und auf das Vorhandensein neuer, himmlischer Kräfte, auf das Hindernis der Traurigkeit und Trägheit aufmerksam gemacht werden durch sich selbst und andere. Die brüderliche Zusprache hat eine mächtige Kraft, die Bleigewichte von den Füßen zu nehmen und die Wolken zu vertreiben. Doch wirkt auch schon die Uebung der Seele, wenn sie sich ermuthigende Sprüche des göttlichen Wortes anzueignen sucht, mächtig auf das Herz und stärkt mit himmlischem Balsam die müden Seelenglieder. Kurz, wenn dirs bang wird um deinen Kampf, deinen Sieg, wenn dir’s mangelt an einem freudigen Jetzt; so suche die heiligen, verordneten Mittel der Gemeinschaft mit Gott und den Brüdern, erfahre die Kraft des Gebetes und des brüderlichen Zuspruches, – und es wird vorwärts, es wird beßer gehen und dein Herz fröhlicher werden. Dazu leben wir ja in der Kirche, daß wir einander ermahnen und dadurch helfen, und deshalb ist gerade die Gemeinschaft der Heiligen von Gott gestiftet und im Himmel und auf Erden so hochberühmt, weil sie das von Gott gewollte Mittel ist, die christliche Heerschaar im Kampfe des Lebens froh zu machen und zum Siege zu führen. Erfahre es und rühme es dann. Gott aber gebe dir selige Erfahrung! Amen.




Am achten Sonntage nach Trinitatis.

Röm. 8, 12–17.
12. So sind wir nun, liebe Brüder, Schuldner, nicht dem Fleisch, daß wir nach dem Fleisch leben. 13. Denn wo ihr nach dem Fleisch lebet, so werdet ihr sterben müßen; wo ihr aber durch den Geist des Fleisches Geschäfte tödtet, so werdet ihr leben. 14. Denn welche der Geist Gottes treibet, die sind Gottes Kinder. 15. Denn ihr habt nicht einen knechtlichen Geist empfangen, daß ihr euch abermal fürchten müßtet; sondern ihr habt einen kindlichen Geist empfangen, durch welchen wir rufen: Abba, lieber Vater! 16. Derselbige Geist gibt Zeugnis unserm Geist, daß wir Gottes Kinder sind. 17. Sind wir denn Kinder, so sind wir auch Erben, nämlich Gottes Erben, und Miterben Christi; so wir anders mit leiden, auf daß wir auch mit zur Herrlichkeit erhaben werden.

 VOn den falschen Propheten, vor denen sich die Angehörigen JEsu hüten sollen, und von den Früchten beider, der guten und der faulen Bäume im Garten des HErrn, handelt das Evangelium. Nicht im Gegensatz, sondern das Evangelium vervollständigend, handelt die Epistel von den Kindern Gottes, ihrem Geiste und deßen Wirken in ihnen und aus ihnen. Bliebe man im Gleichnis des Evangeliums, so könnte man sagen: die Epistel zeigt, wie man zum guten Baume wird und welche besten und schönsten Früchte Gottes Bäume bringen sollen. Redet nun gleich die Epistel nicht von Lehrern, ist es allgemeiner; so erleidet es doch eine volle Anwendung auf die Lehrer; wie das Evangelium verallgemeinert auf

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 051. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/427&oldid=- (Version vom 1.8.2018)