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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

Amtes thut nichts also, daß Seine heiligen Stiftungen in Schatten und Unwerth gesetzt werden. – Sehe daher allerdings ein jeder Christ auf die ihm nöthige Gnadenwirkung und Versicherung aus, bete drum, laße sich fleißig an den Orten finden, wo der HErr Seines Namens Gedächtnis gestiftet hat, weil Er da Sein Volk segnen will, gebrauche alle Gnadenmittel und überlaße es dann ganz und gar dem ewigen Freund und Tröster, wie, wo, wodurch, ob plötzlich, ob allmählich, ob mit immer gleicher oder immer wachsender Gewisheit das Zeugnis seiner Kindschaft ihm gegeben werden soll. Nur hüte er sich vor Sünde und dem Frohndienste der Leidenschaft, welcher alle Gewisheit verzehrt. Denn wir können allerdings mit unsern Werken uns keine göttliche Gewisheit des Heiles schaffen, wohl aber durch böse Werke und Sündendienst jede göttliche Gewisheit stören, ja verstören und zerstören, und wer das Zeugnis des Geistes unangefochten bewahren will, der bewahre seine Seele vor dem Hinsinken in Sünde und Bosheit. Nicht umsonst schreibt St. Johannes: „Wenn uns unser Herz nicht verdammt, haben wir eine Freudigkeit zu Gott.“

 Doch hier stehen wir ja bei der dritten Antwort auf unsre zweite Frage, denn diese dritte Antwort heißt ja: „die haben den Geist Gottes, welche sich von demselben treiben laßen.“ Das laßt uns nun miteinander genauer betrachten.

 „Welche der Geist Gottes treibt, die sind Gottes Kinder“, übersetzt Luther. Bei dieser Uebersetzung aber kommt man des Sinnes wegen in Verlegenheit, welchen das Wort treiben haben soll. Man kann hier an ein Treiben denken, wie wir es an jenem Propheten sehen, der den König Jehu salbte, und an Jehu selbst, an ein gewaltsames, mächtiges, unwiderstehliches. Aber eben das ist es, was zum Begriffe des Wortes und Ausdrucks nicht gehört, so wenig als wenn wir von einem Triebe des Geistes reden. In dem Verstande des Hauptwortes Trieb verstehen wir die Meinung des Ausdrucks, welche ohne Zweifel auch Luther damit verbunden hat, viel beßer. Würden wir sagen: „Welche sich den Geist Gottes treiben laßen, sich von Ihm führen und leiten laßen, die sind Gottes Kinder“, so hätten wir damit den Sinn des Apostels getroffen und wir hätten damit ein Kennzeichen der Kindschaft und der Einwohnung des heiligen Geistes, welches nicht bloß für den, welcher den Geist hat, sondern oft auch für andere, welche außer Ihm leben, eine überweisende Kraft haben kann.

 Wir müßen jedoch auf die Sache noch mehr eingehen, als es hiemit geschehen ist. Wenn wir die Frage: „Wer hat den heiligen Geist?“ unter anderem auch so beantworten, daß wir sagen: „Wer sich von dem Geiste Gottes leiten und führen läßt“, so könnte man daraus nicht mit ganzem Rechte schließen: „Also wenn sich jemand von dem heiligen Geiste nicht leiten läßt, so hat er den heiligen Geist nicht“. Es muß doch der Geist erst im Menschen sein, ehe Er ihn regieren kann, und es läßt sich also wohl ein Zeitpunkt denken, in welchem der Geist bereits da ist, ohne noch den Menschen und seine Kräfte Seinem heiligen Regimente unterthänig gemacht zu haben. Auch muß man sich hüten, zu schließen: „dieser oder jener Mensch hat sich in dem oder jenem Falle vom Geiste Gottes nicht leiten laßen, also ist Gottes Geist nicht in ihm.“ Denn es ist kein Mensch, der allewege und in allen Fällen sich dem Geiste Gottes übergibt; wäre der Geist nur bei denen, welche vollkommenen Gehorsam leisten, so wäre Er bei niemand, weil niemand vollkommen dem guten Geiste folgt. Es ist der heilige Geist barmherzig und gnädig, geduldig und von großer Güte und Treue, – wenn Er in einen Menschen einzieht, so weiß Er am besten, daß Er Mühe und Arbeit, Geduld und Erbarmen, langmüthiges und großes, an uns wenden muß, weil unsre Krankheit zu schwer und groß ist und zu tief geht, als daß wir schnell und bald heil und heilig werden könnten. Es ist daher schon ein hoffnungsreicher Zustand, wenn im Allgemeinen der Wille und das treue Verlangen da ist, Christo zu dienen und Seinem Geiste zu gehorchen, und der Satz: „der Geist Gottes ist bei denen, welche sich vom Geiste Gottes leiten laßen“, muß mit derjenigen Bescheidenheit und Barmherzigkeit gefaßt werden, welche aus der Erkenntnis der menschlichen Zustände hervorgeht. Das schonungslose, böse Auge der Welt findet die heilige Regel nicht und mag sie nicht, nach welcher Gottes arme, kranke, aber dennoch Ihm angehörige, heilige Kinder gerichtet und beurtheilt werden müßen. – Ich glaubte dies sagen zu müßen, um das böse Urtheil der Menschen abzuwehren, und zum Troste derer,

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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 057. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/433&oldid=- (Version vom 1.8.2018)