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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

gab hernach die Fleischesfreude Anlaß zur Abgötterei. Die Moabiter und Midianiter luden auf Bileams Rath die Kinder Israel zu ihren Festen. Da gab es eine Begegnung. Die Söhne und Töchter Gottes machten Gemeinschaft mit den Kindern Moabs und Midians. Aus war es mit der Sonderung Israel von der Welt, als Sinnenfreuden lehrten über die Zäune springen, die da schieden. Die man hätte fliehen sollen, an die hieng man sich, und Israel hurte mit den Moabitern und Midianitern. Die leibliche Hurerei führte zur geistlichen, aus der sie eigentlich schon hervorgegangen war, wie aus einem höllischen Versteck. Da geschah denn, was Bileam gewollt: der Zorn des eifrigen Bräutigams und Mannes kam über die erwählten Kinder; es fielen an Einem Tage 21,000. „Laßt uns nicht huren, wie manche unter ihnen hurten,“ ruft Paulus.

 Drei Beispiele der bösen Lust haben wir gehabt. Nun aber folgen zwei entsprechende Beispiele der Verdroßenheit. Wer immer etwas anderes begehrt, als Gott der HErr darbeut, der kann ja an dem wirklich Dargebotenen keine Lust und Freude mehr haben. Anderes will er, Gottes Gaben mag er nicht; er tritt sie mit Füßen. So gieng’s Israel. Manna hatten sie. Das war eine Speise, die nicht mit Unrecht Engelspeise genannt wurde; es könnte einen an vollen Tafeln der Könige dieser Welt nach diesem Manna hungern. Aber – sie hatten die nunmehr entwendete Speise im Ueberschwang; sie bekamen Ekel dran; sie nannten Gottes gesundes Himmelsbrot „eine lose Speise“. Damit forderten sie den HErrn heraus und versuchten Ihn, dem elenden Volke statt Gnade Schläge zu geben. Gottes Gaben schelten, merkt wohl, das fordert Gott heraus. Wer voller Ekel ist, wenn Gott den Tisch deckt, und sehnsüchtig nach den Fleischtöpfen Aegyptens schaut, dem wird Er Seine Gabe nicht auf den Rücken werfen; sondern Er wird ihm zahlen, wie ers verdient. „Laßt uns Christum nicht versuchen, wie manche unter ihnen, unter dem Volke Israel, Ihn versuchten und durch Schlangen umkamen,“ so warnt der Apostel. Gott gibt denen keine Schlange, die um Brot bitten, aber die Sein Brot nicht mögen, denen gibt Er feurige, tödtende Schlangen.

 Die zweite von den Versuchungen der Verdroßenheit, die fünfte im Ganzen, bezieht sich nicht auf dargebotene Gaben Gottes, sondern auf göttliche Führungen und Gebote. Da stand Israel im zweiten Jahre nach seinem Auszug aus Aegyptenland bei Kades, vor den Pforten des ihm gelobten Landes. Das Heer des HErrn sollte ausgehen, das Land einzunehmen. Aber da erschrack die Menge vor der Aufgabe. Das Volk fügte sich nicht unter das göttliche Gebot, glaubte nicht an die mächtige Durchhilfe Gottes, verzagte wie an der eigenen Kraft, so im Bewußtsein vieler Sünden an der Treue und Güte des HErrn, und wurde aus Unglauben in die Sünde des Murrens hingerißen. Der eigene Wille war zugleich trotzig und verzagt. Nichts wagte er gegen die Canaaniter, die bereits von Gott verworfen und daher vor der Schlacht schon besiegt waren, – alles gegen den allmächtigen, unüberwindlichen Gott, den nichts mehr beleidigt als Unglaube und Mistrauen, der daher auch die Murrenden sogleich und 38 Jahre lang heimsuchte und keinen in das werthe Land kommen ließ, der sich geweigert hatte, es auf dem Wege und in der Weise zu betreten, welche Gott befohlen hatte. „Murret nicht, sagt daher Paulus, wie von jenen manche murrten und durch den Verderber umkamen.

 Diese Versuchungen waren nun Versuchungen, nicht Gottes, denn der ist kein Versucher zum Bösen, sondern des Satans, der bösen Welt umher und des bösen Fleisches der Kinder Israel, und sie nannte ich oben Versuchungen der letzten Zeit. Was für ein Recht habe ich zu dieser Benennung? Ich hoffe, volles Recht. Der Beweis davon liegt im 11. Verse unsers Textcapitels. „Alle diese Dinge, sagt St. Paulus, sind jenen begegnet als Typen oder weißagende Vorbilder, aufgeschrieben aber zu unsrer Zurechtweisung, auf welche die Enden der Aeonen, der Weltzeiten gekommen sind.“ Wenn also die Versuchungen Typen oder weißagende Vorbilder sind, so hat man ihnen doch nicht genug und das volle Recht gethan, wenn man sie als einfache geschichtliche Vorgänge nimmt, als vergangene Begebenheiten: Vorbilder deuten auf Urbilder, Weißagungen auf Erfüllungen. Und wenn man nun nach den Zeiten forscht, in welchen diese Vorbilder und Weißagungen erfüllt werden sollen; so kann man sich doch nicht täuschen, wenn man sagt, die Erfüllung

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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 061. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/437&oldid=- (Version vom 1.8.2018)