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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

 Gott versucht nicht zum Bösen. Die offenbarten Versuchungen der letzten Zeit sind lauter Versuchungen zum Bösen. Wie kommt es denn, daß in den letzten tröstlichsten Worten des Textes in die Versuchung Gott eingemengt wird. Ist denn Gott auch in der Versuchung? Nur menschliche Versuchung wird zugelaßen – wer wirkt es, wer nimmt Rücksicht auf die große Schwachheit der Natur, welche oft den Vorrath der Gnadenkräfte zu überwältigen droht? Das muß doch Gott sein! – Er – wird nicht laßen – uns versucht werden – über Vermögen: wer denn? Gott, unser Gott! – Er wird schaffen oder machen mit der Versuchung den Ausgang, daß ihr’s ertragen könnet, – „Er wird schaffen, daß die Versuchung so ein Ende gewinne, daß ihr es könnet ertragen“, mit Luthers schön umschreibenden Worten zu reden. Macht Er denn, schafft Er denn Selbst die Versuchung, weil es heißt: Er schafft mit der Versuchung den Ausgang? Gewis nicht, die Versuchung schafft Er nicht; aber zugleich mit der Versuchung, so wie sie eintritt, sieht und bereitet Er vorher den glücklichen Ausgang. Die Versuchung geben andere; aber ER schafft ihr das Maß, daß wir nicht von Schwachheit überwogen, von Gnadenkräften verlaßen, dahinfallen. Er mäßigt, wie die Kirche singt: „Du kannst maßen, daß mirs nicht bringt Gefähr; ich weiß Du wirst’s nicht laßen.“ Er fängt also keine Versuchung an, aber Er mäßigt, mittelt, endet. – Er führt hinein und heraus, und es ist also richtig: Gott ist in der Versuchung.

 Wohlan, ist Er dabei, so heißt es: „Nur frisch hinein, es wird so tief nicht sein, das rothe Meer“. Es ist nur ein Drohen der Wellen, sie stürzen nicht. Die Winde wehen entgegen, aber sie halten nicht auf; widrige Winde fördern hier, der Wind vom Osten führt gen Osten, – zum Ufer hinüber, wo Sicherheit und ewige Ruhe ist. Dann ist verloren des Teufels und der Welt Mühe; aber wie wird dann alle Mühe mit süßem Frieden belohnt! „Wie gut wird sichs doch nach der Arbeit ruhn, wie wohl wirds thun!“ O kleine Mühe der Versuchten, o großer Friede der Bewährten! Tröstliche Aussicht der armen Pilgrime und Kämpfer, denen Apostel und große, göttliche Lehrer zurufen: „Selig ist der Mann, der die Anfechtung erduldet; denn nachdem er bewährt ist, wird er die Krone des Lebens empfangen, welche der HErr denen verheißen hat, die Ihn lieben.“ Jacob 1, 12.

 So, meine Brüder, schließ ich diesen Vortrag, – dies arme Echo eines großen Textes, eines Wortes aus der Höhe!

 Ehre sei dem Vater der Barmherzigkeit, dem Gott, alles Trostes, dem Vater und dem Sohne und dem heiligen Geiste, wie es war im Anfang und jetzt und immerdar sein wird von Ewigkeit zu Ewigkeit! Amen.




Am zehnten Sonntage nach Trinitatis.

1. Cor. 12, 1–11.
1. Von den geistlichen Gaben aber will ich euch, liebe Brüder, nicht verhalten. 2. Ihr wißet, daß ihr Heiden seid gewesen, und hingegangen zu den stummen Götzen, wie ihr geführet wurdet. 3. Darum thue ich euch kund, daß Niemand JEsum verfluchet, der durch den Geist Gottes redet; und Niemand kann JEsum einen HErrn heißen, ohne durch den heiligen Geist. 4. Es sind mancherlei Gaben, aber es ist Ein Geist. 5. Und es sind mancherlei Aemter, aber es ist Ein HErr. 6. Und es sind mancherlei Kräfte, aber es ist Ein Gott, der da wirket alles in allem. 7. In einem jeglichen erzeigen sich die Gaben des Geistes zum gemeinen Nutzen. 8. Einem wird gegeben durch den Geist zu reden von der Weisheit; dem andern wird gegeben zu reden von der Erkenntnis, nach demselbigen Geist; 9. Einem andern der Glaube, in demselbigen Geist; einem andern die Gabe gesund zu machen, in demselbigen Geist! 10. Einem andern Wunder zu thun;
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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 065. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/441&oldid=- (Version vom 1.8.2018)