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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

Seiner heiligen Regel keine besondere Gnade des neuen Testamentes wirkt, keine gibt, keine in die Herzen legt.


 Nachdem wir nun unsere beiden ersten Fragen dem Texte gemäß gelöst haben, gehen wir zu der dritten Frage über: Welcherlei sind die geistlichen Gaben? Die vorigen Fragen konnten wir so beantworten, daß wir zuerst die Antwort gaben und sie zuletzt aus Gottes Wort bestätigten. Sie ließen sich schon aus allbekannten christlichen Grundsätzen beantworten, bedurften nur die willkommene Bestätigung aus dem Texte. Mit der dritten Frage ist es anders. Wir haben aus allgemein christlichen Grundsätzen kaum Muthmaßungen: nur Offenbarung und Text des göttlichen Wortes kann uns Licht bringen. Dankbar gehen wir daher sogleich zu unserm Texte selbst. Der belehrt uns nun aber, daß zu den geistlichen Gaben oder beim Worte des Grundtextes, welcher sich hier geltend macht, zu bleiben, zu dem, was des Geistes ist, dreierlei gehört: „erstens Charismen oder Gnadengaben im eigentlichen Sinne, zweitens Aemter und Dienste, drittens Wirkungen oder wie Luther übersetzt Kräfte.“ Charismen, Aemter und Wirkungen stehen in einem innigen Zusammenhang. Das Charisma ist die innere Befähigung; das Amt ist die Berechtigung und Befugnis, die Befähigung auszuüben, es bringt zur Anlage den Beruf, – und die Wirkung ist nichts anderes als, was das Wort sagt und wie es lautet, der segensreiche Einfluß der im Amte geltend gemachten Gnadengabe. Man könnte zwar sagen, daß nicht jedes Charisma ein entsprechendes Amt habe; allein wir dürfen nur statt des deutschen Wortes Amt das andere „Dienst“ setzen und wir werden zugeben, daß ein Charisma ohne von Gott geschenkte Weitschaft zur Ausübung, zum Gottesdienste nichts ist. Das deutsche Wort Amt ist etwas enger als das griechische Wort Diaconie, welches die wohlbestellten Aemter der heiligen Kirche gewis einschließt, aber auch alle Befugnis und jeden göttlichen Beruf zur Ausübung einer Gnadengabe, eines Charisma’s mit einfaßt. Im Abschnitt Vers 28–30 können wir am deutlichsten sehen, daß diese unsre Deutung richtig ist, denn dort werden die Aemter und Dienste aufgezählt, die hier in den Namen der Diaconieen zusammengefaßt werden. Die Charismen oder göttlichen Befähigungen, die Aemter und deren segensreiche Wirkungen sind es nun, welche St. Paulus unter dem versteht, was „des Geistes ist“ oder unter den geistlichen Gaben. Wenn wir vielleicht geneigt oder gewohnt waren, unter den geistlichen Gaben bloß die Charismen zu verstehen, so müßen wir uns eben zurechtweisen und von St. Paulo belehren laßen. Die Aemter, die Dienste, die auf Charismen gegründeten heiligen Berufe und die gesammte Einwirkung derselben – sie alle gehören zu dem, was des Geistes ist, sind allesammt köstlich, des Dankes und des Preises Gottes werth. – – Die Charismen, Aemter und Wirkungen sind aber „mancherlei“ oder verschiedene Arten. Das griechische Wort, welches hier steht, deutet nicht bloß auf die größere Anzahl und deren Verschiedenheit, sondern auch auf die Zusammengehörigkeit, Verwandtschaft und den gleichen Ursprung hin. So wie von einer Brunnenstube mancherlei Canäle und Röhren, von einem Baume mancherlei Zweige ausgehen, so gehen die mancherlei verschiedenen Charismen, Aemter und Wirkungen von Einem Ursprung aus. Dieser Gedanke der Unterthänigkeit aller unter Einen Ausgangspunkt ist im Texte noch kräftiger ausgesprochen, wenn St. Paulus sagt: „Es sind unterschiedene Arten der Charismen, aber der Geist (von dem sie stammen), ist derselbe; und es sind unterschiedene Arten der Aemter, aber derselbe HErr; und es sind verschiedene Arten der Wirkungen, aber derselbe Gott, der das alles zusammen wirket in allen.“ Es sind also alle Charismen dem einen Geiste, alle Aemter demselben HErrn, alle Wirkungen demselben Gotte zugeschrieben – und, wer Augen hat zu sehen, wird merken, wie die Einheit aller Gaben dem Ursprunge nach festgehalten werden soll. Man wird hiebei von zweierlei überrascht, nemlich erstens daß die Gaben dem Geiste, die Aemter dem HErrn, d. i. Christo, die Wirkungen Gott, d. i. dem Vater zugeschrieben sind, also nicht bloß die großen Werke der Schöpfung, Erlösung und Heiligung je einer besondern göttlichen Person zugeeignet werden, sondern auch innerhalb der Kirche und in ihrem gesammten geistlichen Leben einer jeden göttlichen Person ihr besonderer heiliger Antheil gehört – zweitens aber, daß dann doch alle Werke der drei Personen unter dem Namen „geistliche Gaben“ oder „das, was des Geistes ist“, zusammengefaßt werden. Die Schöpfung,

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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 069. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/445&oldid=- (Version vom 1.8.2018)