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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

kann man auch die Ursachen, um deren willen St. Paul das neutestamentliche Amt so hoch erhebt, nicht vorlegen, ohne hie und da schon erinnert zu werden, daß unser Text mit einer Vergleichung des alt- und neutestamentlichen Amtes abschließt. Diese Vergleichung ist nemlich nicht bloß das Eingehendste, was der Text enthält, sondern sie schließt auch von den Ursachen etliche ein, welche das neutestamentliche Amt mit so großer Glorie umgeben. Laßt uns also nicht scheuen, was nicht zu scheuen ist, schon im dritten Theile einigermaßen vergleichend zu verfahren: es wird nichts desto weniger der Schluß erst im vierten Theile gezogen werden.

 Das neutestamentliche Amt heißt nemlich in unserm Texte ein Amt des Geistes, ein Amt des Lebens, ein Amt der Gerechtigkeit. Eine jede von diesen drei Benennungen würde hinreichen, den großen Ruhm des heiligen Amtes zu rechtfertigen, wie viel mehr werden die drei Benennungen zu dem gleichen Zwecke dienen! Sie sind wie drei unzertrennliche Glieder einer und derselben Kette; sie hängen stark zusammen. Sie sind wie Glieder Eines Leibes, deren keines man verletzen kann, ohne, die Gesundheit des ganzen Leibes zu zerstören; es leiden alle Glieder eines Leibes mit, so wie auch nur ein einziges leidet. Wo Geist ist, da ist Leben, und wo Leben, da Gerechtigkeit. Umgekehrt, wo keine Gerechtigkeit, da ist kein Leben, und wo kein Leben ist, da ist kein Geist. Die drei Namen fallen und stehen miteinander. Es fragt sich aber zunächst, warum das neutestamentliche Amt ein Amt des Geistes, des Lebens und der Gerechtigkeit heißt, wie der Apostel diese Ausdrücke meint? Die Antwort ist leicht. Das Amt des Neuen Testamentes gibt den Geist, mit dem Geiste Leben und mit dem Leben Gerechtigkeit, daher auch Martin Luther ganz richtig den Ausdruck „Amt des Geistes“ übersetzt „Amt, das den Geist gibt.“

 Ein einfacher Hörer des Wortes kann nun leicht begreifen, was für eine mächtige Ursache des Ruhmes und Preises in den drei Namen liegt, welche der Apostel im Texte dem neutestamentlichen Amte gibt. Wie könnte ich das Amt höher heben, als auf diese Weise? Die Kaiser und Könige haben ein von Gott gewolltes und eingesetztes Amt. Mit welch einem Ansehen prangen sie auf Erden daher! Wie weicht vor ihnen alles Volk! Wie beugt sich alles, was Unterthan heißt, wenn der Kaiser, der König, der Herzog, der Fürst daher kommt. Aber werden diese Obrigkeiten sagen, sie seien und hätten ein Amt des Geistes, des Lebens und der Gerechtigkeit? Es fällt gewis keinem ein. Allein wir wollen nicht auf die Kaiser und Könige sehen. Wir wollen mit Paulo in die Vorzeit schauen, das Amt des Alten Testamentes, das Amt Mosis und Aarons, der Propheten und Priester des Alten Testamentes ins Auge faßen. Kann man sagen, das sei – wie des Neuen Testamentes Amt – ein Amt, welches Geist, Leben und Gerechtigkeit gibt? Der Apostel selbst beantwortet uns die Frage mit nein. Er nennt das alttestamentliche Amt ein Amt des Buchstabens, ein Amt des Todes, ein Amt der Verdammnis, – er thut es in unserm Texte. Er gibt ihm also gradezu die entgegengesetzten Titel, lauter Titel, die wohl Grauen und Entsetzen, aber nicht Preis und Ruhm veranlaßen und wecken können. So steht also das neutestamentliche Amt selbst im Vergleich mit dem größten, was wir in der Mit- und Vorwelt finden können, mit dem Amte der Obrigkeit und dem Amte des Alten Testamentes einzig da, denn es gibt, was kein anderes gibt, Geist, Leben und Gerechtigkeit. Der stille Pastor, der am Altar und auf der Kanzel des Amtes waltet, der, vielleicht von Noth und Verachtung der Welt umgeben, den Menschen unnütz und werth erscheint, mit seinem ganzen Thun und Treiben aus der menschlichen Gesellschaft entfernt zu werden, – der hat, so klein, so schwach er scheint und so verachtet er ist, dennoch, weil er das Amt des Neuen Testamentes trägt, zugleich ein Amt, welches Geist, Leben und Gerechtigkeit verleiht.

 Fragst du da nicht, wiefern er dies Amt erweist? Bist du nicht begierig, herauszubringen, wie er, der vielleicht selbst schwach, krank, todesnahe, sterbend ist, Geist, Leben und Gerechtigkeit gebe? Von Natur nennt uns die heilige Schrift Fleisch – mit Seele und Leib, – sie nennt uns todt, sie nennt uns sündig, verloren, verdammt. Wie uns die Schrift nennt und zeichnet, so sind wir ohne Zweifel: wir sind also Fleisch, todt, voll Sünde, verloren und verdammt. Wie wird uns denn das Amt des Neuen Testamentes so segensreich? Das Gesetz, welches Moses bringt und handhabt, gibt und hinterläßt,

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 084. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/460&oldid=- (Version vom 1.8.2018)