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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

ist auf Christum, wird nicht aufgehoben, daß die Verheißung sollte durch’s Gesetz aufhören, welches gegeben ist über vierhundertunddreißig Jahre hernach. 18. Denn so das Erbe durch das Gesetz erworben würde, so würde es nicht durch Verheißung gegeben. Gott aber hat es Abraham durch Verheißung frei geschenkt. 19. Was soll denn das Gesetz? Es ist dazu kommen um der Sünde willen, bis der Same käme, dem die Verheißung geschehen ist, und ist gestellet von den Engeln durch die Hand des Mittlers. 20. Ein Mittler aber ist nicht eines einigen Mittler: Gott aber ist einig. 21. Wie? ist denn das Gesetz wider Gottes Verheißen? Das sei ferne! Wenn aber ein Gesetz gegeben wäre, das da könnte lebendig machen; so käme die Gerechtigkeit wahrhaftig aus dem Gesetz. 22. Aber die Schrift hat es alles beschloßen unter die Sünde, auf daß die Verheißung käme durch den Glauben an JEsum Christum, gegeben denen, die da glauben.


 WEnn man das heutige Evangelium im Vergleich und Zusammenhang mit der Epistel liest, tritt einem sogleich unverkennbar die Aehnlichkeit beider Texte entgegen. Beide handeln ohne Zweifel von Gesetz und Evangelium, ein jedes in seiner Weise. „Selig sind die Augen, die da sehen was ihr sehet,“ ruft das Evangelium, und gibt damit ohne Zweifel dem Evangelium Preis und Ehre. Denn was die Jünger sahen, ist der HErr, der längstverheißene Same Abrahams, von dem der Segen der ganzen Welt kommen sollte. Ihn sehen, Seine Zeit erleben, Ihn gläubig ergreifen, das ist Freude und Seligkeit. Das Evangelium löst aber auch die große Frage des Schriftgelehrten, der zu JEsu trat und sprach: „Was muß ich thun, daß ich selig werde“ oder das ewige Leben ererbe? In der Antwort JEsu wird des Gesetzes Summa und in der Erzählung vom barmherzigen Samariter das ausgedehnte Gebiet der Wirksamkeit gehorsamer Liebe gegen das Gesetz des HErrn dargelegt. – Eben so redet auch die Epistel von Gesetz und Evangelium. Stehen im Evangelium das Neue und Alte Testament, die neue und die alte Zeit klaffend nebeneinander, räthselhaft und unverbunden, der Deutung harrend, wie beide zusammengehen sollen; so wird im epistolischen Texte das Verhältnis beider gezeigt. Die Epistel handelt ganz von dem Verhältnis des Gesetzes zum Evangelium, wirft ein helles Licht in das Evangelium und lehrt uns den Sinn JEsu faßen, der scharf hintereinander die selig preisen kann, die Ihn sehen, und eine Frage beantworten, wie man auf dem Wege des Gesetzes selig werden könnte, nemlich wenn man könnte, wenn nicht eben der Weg des Gesetzes durch den Fall der Menschheit verscherzt wäre. Laßet uns nun einmal die Epistel genauer betrachten, wie es unsre diesjährige Sitte mit sich bringt.

 Man kann den ganzen Sinn der Epistel in zwei Theilen abhandeln. Der eine gibt Antwort auf die Frage: Wozu ist das Gesetz nicht gegeben?, der zweite aber beantwortet die Frage: Wozu ist es gegeben? Die Doppelantwort löst zugleich die Hauptfrage, nach dem Verhältnis des Gesetzes und Evangeliums, wie wir das sehen werden; denn eine jede von den beiden einzelnen Fragen bezieht sich doch immer wieder auf dies Verhältnis.

 Bei der Beantwortung der ersten Frage zeigt sich das gleich ganz klar. Der Apostel redet alles im Vergleich mit dem Alten Testamente. Er erinnert daran, daß Gott unter Abraham bereits einen Bund und ein Testament der Gnaden gemacht und ihm in seinem Samen Christo alle Schätze des ewigen Lebens frei geschenkt habe. Das sei bereits vierhundertunddreißig Jahre geschehen, bevor das Gesetz auf Sinai gegeben worden. Damit setzt er also Gesetz und Evangelium mit einander in Vergleich. Er thut dies, um den judenchristlichen Feinden der Seligkeit allein aus Gnaden zu begegnen, welche mehr von der Beobachtung des Gesetzes, als von der Ergreifung der in dem gekreuzigten Christus dargebotenen Gnade Leben und Seligkeit abhängig machten. Die Feinde des Evangeliums verkannten das rechte Verhältnis zwischen Gesetz und Evangelium und wurden eben dadurch Feinde des Evangeliums. Wollte nun St. Paulus die Galater von diesen gefährlichen Menschen erretten, so konnte er zu seinem Ziele in keiner andern Weise gelangen, als durch Darlegung des rechten Verhältnisses. Dies Verhältnis wird erkannt, wenn zuerst erwogen wird, wozu das Gesetz nicht gegeben sei.

 Man könnte die Antwort auf diese Frage einfach geben, und so, daß alles zusammengefaßt wäre, was St. Paulus in dieser Epistel durch verschiedene

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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 088. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/464&oldid=- (Version vom 1.8.2018)