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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

Lüste haben in der heiligen Schrift immer eine schlimme Bedeutung, selbst wenn das Beiwort weltlich nicht dabei steht. Weltliche Lüste aber sind die Lüste, wie sie die Welt von Anbeginn gehabt hat gegenüber der Freude am HErrn, welche Patriarchen und Propheten hatten. Gemeint ist im Grunde nichts anderes, als was im Taufbund „Pomp“, Wesen oder vielmehr Unwesen des Teufels heißt. Die elende Welt hat anstatt der Andacht zu Gott Dämonendienst und Abgötterei, und an der Stelle der reinen Freuden des Paradieses den Sinnenrausch der Lüste, Augenlust, Fleischeslust, hoffärtiges Leben, die Lust der Rache, die Lust der Herrschsucht, der Unterdrückungssucht, der Habsucht, und wie alle die rauschigen Mütter der verschiedenen Lüste dieser gottentfremdeten und gottfeindlichen Welt heißen. Was ist die Geschichte der heidnischen Völker vor Christo, was treibt die Nationen? Man braucht ihnen nichts abzuleugnen, was sie haben, keinen Ueberrest der edlen Abkunft, die sie alle haben; man kann auch alles anerkennen, was sie in Kraft natürlicher Gabe und ihres Gewißens gethan. Im Ganzen aber ist die Geschichte der Heiden nichts anderes, als ein mannigfaltig gestalteter Beweis ihres gottlosen Wesens und der Lüste, die sie trieben. Diese beiden großen Factoren aller heidnischen Verderbnis sind wie die Teufel, die, wenn sie vom Menschen ausgetrieben sind, nicht ferne von ihm weggehen, immer wieder kommen und den Einlaß in ihr altes Haus begehren. Sie sind nicht ferne von einem jeglichen Menschenkind, machen sich immer wieder geltend, und wer nicht Acht gibt und sie nicht immer aufs Neue verleugnet, abweist und ihnen entsagt, der kann immer aufs Neue wieder von ihren Stricken umgarnt und mit ihren Greueln beschmutzt werden, wie denn auch wirklich die große Mehrzahl derer, die sich Christen nennen, am Ende wieder dahinfallen wird in die grauenvolle Abgötterei, Zauberei und in alle Lüste des antichristischen Reiches. Daher muß auch das Eigentumsvolk des HErrn, das da heißt ein Eiferer in guten Werken, bis an’s Ende der Tage in der Verleugnung bleiben, und jede Seele, die nicht verloren gehen soll, zu einer immerwährenden Verleugnung des alten heidnischen Wesens erzogen werden. Wer nicht verleugnet, der wird nicht bekennen, und wer um die Krippe oder auf Golgatha, oder am Tage, da kommen wird, des wir warten, in rechtem Bekenntnis stehen will, der vergeße nicht, daß zum Bekenntnis Christi die Verleugnung alles“ vor-, und außer-christlichen Wesens gehört, zum hellen Ja das grimme Nein, und zur Freude am HErrn HErrn ein gewaltiger Haß des Bösen. Je älter du wirst an Jahren, desto jünger und kräftiger sollst du werden in Haß und Liebe, und wenn du in der Hand der erziehenden Gnade etwas Rechtes geworden sein wirst, so wird von dir eine doppelte Flamme ausgehen, immer brennendere Verleugnung des Bösen niederwärts, aufwärts aber, zum Dreieinigen und seinem Christus die Flamme der treuen Andacht, die in alle Ewigkeit lodern soll.

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 Dies von der Wirkung der erziehenden Gnade in Anbetracht der Vergangenheit. In der Gegenwart aber, welche dein ist, deine Zeit, dir zum Segen gegeben, will die himmlische Erzieherin ein heiliges Leben in dir bewirken, und dieses himmlische Leben ist in dem 12. Vers des zweiten Kapitels an Titus so recht nach unsrer Zeiten Weise dargelegt und bezeichnet. Denn wir sagen ja immer, der Mensch habe dreifache Pflichten: gegen sich selbst, gegen andre und gegen Gott. Und gerade wie wenn diese Einteilung unsrer Pflichten dem heiligen Apostel vorgeschwebt hätte, hält er bei Darlegung des neuen Lebens, zu dem wir erzogen werden sollen, jenes dreifache Verhältnis im Auge. Er sagt, die Gnade erziehe uns, daß wir „züchtig, gerecht und gottselig leben“ in dieser Welt, oder in der gegenwärtigen Weltzeit. Noch ehe wir das Wörtchen „züchtig“ uns zurecht legen und so faßen, wie es gefaßt werden muß, schon nach dem allgemeinen Begriffe des Wortes, der uns ungesucht entgegentritt, können wir sagen, daß hiemit das richtige Verhalten des Menschen gegen sich selber angedeutet ist. Ferner wird niemand leugnen, daß das Wort „gerecht“ das Verhalten des Menschen gegen seinen Nächsten andeutet. Endlich wird in dem Worte „gottselig“ jedermann das Verhältnis der Seele zu ihrem Gott bezeichnet finden. Was nun von diesen Worten das erste anlangt, so verbinden wir in der neueren Zeit mit dem Ausdruck „züchtig“ einen anderen Begriff, als es teilweise in den Zeiten Luthers der Fall war. Wir verstehen es meist so, wie Luther selbst in der Auslegung des sechsten Gebotes, wo es heißt, wir sollen „keusch und züchtig“ leben. Es scheint uns immer mit keusch

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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 040. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/47&oldid=- (Version vom 1.8.2018)