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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

beiden Texten ist ein sicherer Vergleichungspunkt, nemlich das Wort Aussatz. Redet das Evangelium von leiblichem Aussatz, so spricht die Epistel wider die Werke des Fleisches, den Aussatz der Seele. Sehen wir dort die Heilung der Leiber, so erkennen wir hier die Befreiung der Seelen von einem Aussatze, der freßender und schädlicher ist als jeder leibliche. Erscheint uns in der Erzählung des heiligen Lucas Schönheit und Preis des Dankes für gefundene Hilfe und Heilung; so eröffnet sich uns im Worte Pauli an die Galater nicht minder eine Aussicht, noch größeren Dank zu üben. Denn wenn die Seele von der Sünden Aussatz frei geworden, aus dem Streite in die Ruhe und den Triumph des ewigen Sabbaths wird eingetreten sein; so wird sie auch danken, ewig danken, und damit auch ewig erfahren, was für ein köstliches Ding es ist, dem HErrn danken für alle Seine Hilfe.

 Behalten wir nun, meine Brüder, das Evangelium im Angedenken, verfolgen aber die Epistel und ihren Inhalt. Möge er uns dienen zur Heilung unsrer Seelen und zur Stärkung im harten Strauße zwischen Fleisch und Geist.

 Der Christ ist in einem innern Widerstreit, der Geist Gottes und die fleischliche Begier liegen in ihm wider einander zu Felde. Vor den Augen der Unverständigen und Unerfahrenen ist dieser Satz eine Art von Widerspruch in sich selbst. Daß der natürliche Mensch eine doppelte Stimme in sich habe, sich in ihm die Gedanken entschuldigen und verklagen, das Gewissen wider das anklebende Böse Zeugnis gibt, das gibt jedermann zu. Dagegen aber glaubt man annehmen zu dürfen, daß durch die Wiedergeburt und Erneuerung, welche der Christ erfährt, der Widerstreit des inwendigen Lebens aufhöre und nur Eine Stimme, Ein Wille, Ein Streben und Trachten herrschend werde. Der Christ scheint vor dem natürlichen Menschen gar nichts vorauszuhaben, wenn auch er voll inneren Widerstreits ist. Und doch ist es nun nicht anders, die heutige Epistel reicht hin, darüber Gewisheit zu geben und alle Zweifel zu zerstören. Im 17. Verse lesen wir geradezu: „Das Fleisch gelüstet wider den Geist, den Geist wider das Fleisch; diese beiden liegen wider einander zu Felde.“ Nach dem ganzen Zusammenhang kann man nicht glauben, daß hier unter den Namen Fleisch und Geist der Gegensatz vorgestellt werde, in welchem der natürliche Mensch gegen sein Gewißen lebt. Fleisch ist ein Ausdruck, welchen die heilige Schrift von dem natürlichen Menschen überhaupt gebraucht, von seinem ganzen Wesen, welches auch das Gewißen mit einschließt; Geist hingegen ist und bleibt der Geist Gottes, der im Christen seine Wohnung und sein Werk hat. Es kann unter Geist nicht der Geist des Menschen verstanden sein in seiner natürlichen Beschaffenheit, weil Vers 22. 23. von Früchten des Geistes die Rede ist, die kein Mensch als Früchte des eigenen Geistes erkennen wird. Ist nun aber in dem Christen selbst die alte Natur in Widerstreit wider den heiligen Geist, so fragt sich, wie sich der Kampf des Christen zu dem des natürlichen Menschen verhalte. Es könnte nemlich der Kampf des natürlichen Menschen für einen völlig andern gehalten werden, und wiederum für einen andern der Kampf zwischen dem natürlichen Menschen und dem Geiste, so daß zweierlei Kampf im Menschen, der Christ heißt, sein – oder einer von beiden durch den Eintritt ins Christentum aufhören müßte. Allein das wird sich leicht entwirren. Wir werden sagen müßen, der Kampf zwischen Fleisch und Geist sei eigentlich kein anderer, als der zwischen dem natürlichen Menschen und seinem Gewißen. Wie der ganze Mensch durch den Eintritt ins Christentum ein anderer werde, so werde eben dadurch sein alter Kampf ein anderer – was seine Verhältnisse anlangt, aber es sei eben doch nur der alte Kampf – in wiedergeborener und verklärter Gestalt, wenn man von einem Kampfe das Bild der Wiedergeburt gebrauchen darf. Der Geist Gottes, wenn er den Menschen in Seinen Einfluß nimmt, wendet sich an ihn mit Erleuchtung seiner Einsicht und damit seines Gewißens, und macht seinem Geiste den Gegensatz, der von Geburt an da ist, recht klar, und recht deutlich alle Feindschaft, welche das Fleisch dem Gewißen gegenüber hat. Das Gewißen von Natur ist unsicher, blind, eine unbestimmte Unruhe, ein Jammer, der nicht weicht, von deßen Tiefe und Umfang man keinen Begriff hat. Durch den Geist Gottes aber lernt des Menschen Gewißen, was wirklich böse ist: der Geist regt sich im Gewißen; der Kampf des Gewißens wird ein Kampf des heiligen Geistes. – Das ist also ein und derselbe Kampf

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 094. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/470&oldid=- (Version vom 1.8.2018)