Seite:Wilhelm Löhe - Epistel-Postille.pdf/472

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

zum Leben berufen wirst, widerstrebe boshaft und bewußt Dem, der dich bekehren will: so bleibst du, was du bist und wirst es immer mehr. Wehr dich nicht, laß Ihn walten, und ER überwindet dich. Und du, erneute Seele, sei träg im Gebrauch der neugeschenkten Kraft, und der Sieg geht verloren. Erwecke die Gabe, die in dir ist, laß sie erwecken, und der Sieg kommt, ja Sieg auf Sieg, Fertigkeit in Sieg und Tugend. – Daher kommt es, daß der Apostel ermahnt: „Wandelt im Geist“; und Vers 25: „So wir im Geiste leben, so laßet uns auch im Geiste wandeln.“ Er würde so die Christen, die Galater, nicht anreden, wenn sie nicht im Geiste wandeln könnten, wenn kein neuer Wille in ihnen wäre, und keine göttliche Kraft. Es ist etwas anderes, wenn, wie die vorige Sonntagsepistel sagt, das Gesetz bei denen, die nicht in Christo JEsu sind, zwischeneinkommt, damit die Sünde recht sündig werde, – und was anderes, wenn die Kinder Gottes zur Ausübung ihres königlichen Vorrechts, das Böse zu meiden und das Gute zu thun, ermahnt werden.


 Wenn man nun den Christen sich in den lebenslänglichen Kampf zu denken hat, so muß man noch überdies den Kampf sich als sehr schwer und gefährlich denken. Schon oben wurde beiläufig erwähnt, daß bei dem Hervortreten ernsterer Regungen des heiligen Geistes auch die Regungen des Fleisches mächtiger wirken, daß die stärkere Bewegung der guten Kräfte auch alle bösen mächtig aufruft. Daß diese beiläufige Bemerkung richtig und schriftmäßig ist, erkennt man schon aus dem zweiten Verse des Textes. Die beiden, heißt es da, nemlich Fleisch und Geist liegen wider einander zu Felde, „auf daß ihr das nicht thut, was ihr wollet.“ Kann man auch diese Worte vielleicht nicht so nehmen, als schilderten sie die Absicht des harten Kampfes, nemlich die Absicht deßen, der im Kampfe mit ist, wie Gott, und sich eindrängt, wie auch die heiligen Engel; so liegt doch sicher die gewöhnliche Folge und Gestalt des Kampfes ausgesprochen. Wenn auch der Wille der heiligen Kämpfer das gute Ziel festhält, so geht er doch nicht so in die That über, wie es sein sollte, – die Schwachheit des armen Menschen ist nicht minder groß, als die Nöthen des Angriffs; da welkt denn oft die arme Kraft dahin vor der Hitze der Anfechtung und die That geräth übel, da man anfangs doch ganz anders dachte. Wie viele Tage eines Christenmenschen gehen wohl ohne diese Erfahrung dahin? Wer kennt sie nicht, diese Erfahrungen voll niederschlagender Kraft? Der Wille, die innere Begier der Seele geht dahin, daß man dem guten Weingärtner süße Trauben trage, – und siehe, was reicht, was bringt man ihm? Arme Heerlinge und böse Früchte, deren man sich schämt, Werke des Fleisches statt Früchte des Geistes. Da muß denn Sinn und Begier desto mächtiger sich nach einem Mittel ausstrecken, welches helfe und Kraft verleihe, das Böse zu meiden und das Gute zu thun. Dies Mittel sagt uns wohl der Text, aber es erscheint schwer und fast nicht handzuhaben. Es klingt eben so, wie wenn ein Mensch fragen wollte, wie er eine schwere Last von sich wegbringen könne, und die Antwort empfienge: dadurch daß er sie trage. Ihr erinnert euch, daß gesagt wurde, es seien im Christen zweierlei Bewegungen, eine des heiligen Geistes, eine andere des Fleisches. Da nun das Fleisch den Willen des Menschen so gerne, ach oft so leicht gefangen nimmt, so fragt man, wie man das vermeiden könne, und empfängt darauf statt Trostes und Rathes in der Epistel den Befehl: „Wandelt im Geist und ihr werdet die Lüste des Fleisches nicht vollbringen“ – und dazu die Bemerkung: „Regiert euch der Geist, so seid ihr nicht unter dem Gesetz.“ Wie kann ich den Sieg des Geistes gegen mein Fleisch gewinnen, heißt die Frage, und die Antwort: „Wandle im Geist, laß dich vom Geiste regieren.“ Was mir so schwer wird, daß ich nicht weiß, ob ich es je kann, das soll ich eben thun, damit ichs kann! Ist das nicht ein unmöglicher Rath, eben wie wenn einer um die Tugend verlegen wäre und dann den Rath bekäme, er solle sie üben? Wäre denn da nicht beßer, zu ermahnen, daß man um eine größere, die Natur bewältigendere Ausgießung des heiligen Geistes bete, auf daß leicht würde, was schwer ist? Einen Augenblick möchte sich der Rath empfehlen; aber schnell wird sich zeigen, daß er nicht leichter ist, als der, den der Apostel gibt, ja, daß er am Ende gar schwieriger ist. Ist denn das so leicht, zu beten? Und wenn du nicht weißst, wie oft, wie sehr, wie viel du beten sollst, oder, sofern du’s

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 096. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/472&oldid=- (Version vom 1.8.2018)