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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

Geistes Kinder seien und gewissermaßen Ein Geist werden und von denselbigen geistlichen Bewegungen und Regungen durchdrungen. Aber die Kirche ist auch berufen zu Einem Leibe: „Ein Leib“ ruft St. Paulus. Wenn ich mir auch alle Mühe gebe, dies Wort „Leib“ recht geistig zu faßen, so zwingt mich doch der Ausdruck „Ein Leib und Ein Geist“, die Zusammensetzung der beiden Wörter „Leib und Geist“, bei aller Vereinigung und Einheit dennoch einen Unterschied anzuerkennen. Die Kirche ist berufen, mit allen ihren Gliedern Ein Geist zu sein, d. i. von dem heiligen Geiste sich in allem innerlich regieren zu laßen; es liegt in diesem Ausdruck die nothwendige Verbindung aller gläubigen Seelen zu einerlei innerlichem Leben ausgesprochen. Wenn es nun aber heißt: „Ein Leib“, so liegt darinnen schwerlich noch einmal allein die innere Zusammengehörigkeit der Christen, vermöge welcher sie gliedlich zusammenhangen und vor Gott ein heiliges Ganzes bilden, sondern das Wort „Ein Leib“ deutet im Unterschied von dem Einen Geiste auf eine leibliche und sichtbare Zusammengehörigkeit und Geschiedenheit von der Welt und ihren Kindern hin. Es ist offenbar, daß die Christenheit vielfach in sich selbst geschieden und getrennt ist, aber es gibt nichtsdestoweniger auch eine Verbindung und Zusammengehörigkeit aller, auch der unter sich Geschiedenen und Verschiedenen, und eine kenntliche Zusammengehörigkeit gegenüber der Welt. Zur Darstellung dieser Zusammengehörigkeit sind alle berufen, die zur Kirche gehören, woher sie auch kommen mögen, und es ist nicht ein eitler, sondern im Gegentheil, ein heiliger und großer Zweck der Kirche auf Erden: was sie unvermeidlich ist, auch mit allem Fleiße zu sein und immer mehr zu werden, nemlich Ein Leib. Hier und dort Ein Geist und Ein Leib, haben alle, die zu der Kirche Einigkeit berufen sind, auch einerlei Hoffnung, wie der Apostel sagt: „Einerlei Hoffnung des Berufs“; wie wir einerlei Beruf haben, so haben wir auch einerlei Hoffnung, nemlich jene ewige Verklärung der Kirche Gottes, von welcher allen Aposteln Zunge und Lippe übergeht, von welcher die Propheten reden. Was wir hier in Schwachheit sind, Ein Leib und Ein Geist, das sollen wir dermaleins in Herrlichkeit sein und alle Klarheit der heiligen Kirche soll an denen erscheinen, die hier schon in Geduld und Glauben vereinigt sind, und diese sichere Hoffnung und Gewisheit soll uns um so mehr antreiben, hier schon eins zu sein und unsere Berufung aus der Mannigfaltigkeit durch die seligste Gemeinschaft zu verherrlichen.

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 Oben haben wir bereits gesehen, daß an zweiter Stelle auf der Leiter der von Paulo angeführten Gründe für die heilige Einigkeit der Christen der Eine HErr JEsus Christus genannt worden, vor welchem sich alle Glieder der Kirche anbetend neigen; und in der That, was soll die Unterthanen mehr an ihre Zusammengehörigkeit erinnern können, als der Blick auf den Einen Scepter, der sie alle regiert. Durch den Regenten wird das Loos der Regierten so einheitlich bestimmt, daß es sie wie von selbst ankommt, von sich in der ersten Person der Mehrzahl mit dem Wörtchen „wir“ zu reden. Ist nun vollends der Eine HErr aller ein Mann von besonderem, hervorragendem Character in gutem oder in schlimmem Sinn, so wird die Einigung noch innerlicher, die Zusammengehörigkeit noch bewußter: eine Bemerkung, die auf unsern HErrn JEsus angewendet, besondere Kraft gewinnt, weil Er schon durch Seine einzige, alle Könige der Welt überragende Persönlichkeit würdig ist, ein HErr aller Herren genannt zu werden. Man könnte sagen, daß uns der Beruf zur Einigkeit durch nichts in der Welt so sehr erleichtert wird, als durch den Hinblick auf den Einen HErrn. Wenn nun in Unserem Textesverse Christo dem Einen HErrn als Beisatz noch zur Seite treten die Ausdrücke: Ein Glaube, Eine Taufe, so könnten wir uns fürs Erste besinnen, ob unter dem Worte Glaube mehr der sogenannte Buchglaube oder der Herzensglaube zu verstehen sei, und ob in jenem oder in diesem Falle in dem Ausdruck mehr Kraft liege, uns zur Einigkeit zu bewegen. So sehr nun auch in mancher Stelle der heiligen Schrift das Wort „Glaube“ kenntlich in der einen oder andern Beziehung vorzugsweise gebraucht wird, so gewis ist es doch, daß in anderen Fällen die Erkenntnis und Unterscheidung so leicht nicht ist, und das Wort in beiderlei Beziehung genommen und gedeutet werden kann. Es fallen ja auch die beiden Beziehungen zusammen, weil weder der Buchglaube für sich, noch der Herzensglaube ohne den Buchglauben irgend einen Werth haben kann. So dürfte es wohl auch in unserer Stelle sein, bei der man sich vergeblich abmüht, bloß den Herzensglauben zu verstehen,

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 116. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/492&oldid=- (Version vom 1.8.2018)