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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

unser Wandel Einigkeit zum Zwecke haben. Dieser Zweck ist auch alle dem, was St. Paulus von dem würdigen Wandel im Texte spricht, ganz deutlich abzumerken. „Mit aller Demuth und Sanftmuth, mit aller Langmuth traget einander in der Liebe und seid eifrig zu halten die Einigkeit des Geistes in dem Bande des Friedens,“ das sind die Worte des heiligen Paulus. Vor allem andern setzt er die Liebe voraus, in welcher man sich gegenseitig tragen soll, ohne welche Demuth, Sanftmuth und Langmuth nicht geboren werden, nicht ins Leben treten. Die Liebe, von welcher die Rede ist, ist die kirchliche Liebe, die Bruderliebe, vermöge welcher einer den andern als Theil des Ganzen und theilhaftig des gleichen Berufes anerkennt und ihn demgemäß im Herzen trägt und äußerlich behandelt. Es ist übrigens diese verwandtschaftliche Liebe nicht bloß ein menschlicher Gedanke, sondern eine übernatürliche, göttliche Kraft, die uns ermuthigt, treibt und stark macht, unsere Brüder brüderlich zu behandeln. Der Liebe erste Tugend ist die Demuth oder der niedrige Sinn. Eben weil die Menschen nach ihrem natürlichen Drang sich so gerne ungebührlich erheben, muß uns die Liebe dahin führen, niedrig zu werden, damit der Erhebung des Bruders nicht bloß das rechte beßere Beispiel, sondern auch glühende Kohlen der Reue und Buße darzureichen. Was wird daraus werden, wenn die Erhebung des einen die des andern hervorruft und sich eitel hochmüthige Geister begegnen? Die rechte Heilung für das hochmüthige Gebahren unserer Brüder ist die heilige, bewußte Demuth derer, die da wachen und ihr eignes und der Brüder Heil im treuen Auge haben. Der mit dem Geringen zufrieden ist, ist der würdigste und siegreichste Gegner desjenigen, der immer nach Höhen trachtet; das sieht die Welt nicht, sie glaubt es auch nicht, das Gegentheil will und sucht sie, aber es ist dennoch wahr, was die Kirche singt: „Sanftmuth sieget, Demuth überwindet.“ Unsers Berufes würdig zu wandeln, ist unsere heilige Pflicht, die wir nun einmal nicht erfüllen, wenn wir alle hoch und groß sein wollen; es ziemt uns vielmehr, nicht nach hohen Dingen zu trachten, sondern uns herabzuhalten zu den niedrigen. Bereits haben wir schon erwähnt, daß die Kirche singt: Sanftmuth sieget, Demuth überwindet; sie vereint also mit der Demuth die Sanftmuth. Dasselbe geschieht in unserem Texte, nur daß die Demuth der Sanftmuth vorangestellt ist, weil ohne Demuth die Sanftmuth nur eine Lüge genannt werden kann. Sanftmuth ist wie eine Form der Demuth, so fern sich diese gegen die Brüder kehrt: man kann sagen, sie sei eine nothwendige Form der Demuth. Denke dir nur Demuth ohne Sanftmuth, und du wirst es faßen. Wenn du in dir selbst dich für den Geringsten unter allen halten und es für deine heilige Pflicht erkennen würdest, das niedrige Loos und die niedrige Stellung als die dir zustehende zu erwählen, so ließe sich das immer noch denken und dabei ein gewißer Grimm und innerlicher Verdruß, daß es so und nicht anders ist, der sich in einem mürrischen, kurzen, harten Benehmen gegen andere kund gäbe und ohne alle Erbarmung und Liebe gegen die Brüder auftreten könnte. Das Leben bietet uns solche Widersprüche, sie sind und bleiben aber dennoch, so viele ihrer wären, Widersprüche, die man verantworten muß vor dem allerhöchsten Richter, Widersprüche, welche der Demuth einen Theil ihrer Wahrhaftigkeit und überdies allen Segen nach außen nehmen, ihr Glauben und Vertrauen abschneiden. Daher es auch unumgänglich nöthig und erforderlich ist, daß der Demüthige sanftmüthig sei und damit beweise, daß seine Demuth durch Gottes Erbarmen gemildert und die Erkenntnis der Sünden durch das Oel der göttlichen Erbarmung gelindert ist. Die beiden Tugenden, Demuth und Sanftmuth sind wie die Jünger des HErrn, von denen geschrieben steht: Der HErr sandte sie je zween und zween. Eine soll der andern zu ihrem Leben und Wesen helfen. Wenn nach innen Demuth, nach außen gegen die Brüder hin Sanftmuth in den Gliedern der Gemeinde herrscht, dann hat der des Berufes zu Einer heiligen Kirche würdige Wandel seinen geziemenden Anfang gefunden, und der Grund ist gelegt zum Wohlsein aller. Doch muß dem Anfang der Fortgang, und dem Grunde das Gebäude folgen, und dazu gehört denn, wie wir auch aus anderen Texten schon öfters gelernt haben, die heilige Langmuth, mit welcher sich die Glieder der Gemeinde gegenseitig tragen sollen. Eine Demuth, eine Sanftmuth ohne Ausdauer, ohne Langmuth, – was werden sie ausrichten? Was ist überhaupt eine Tugend ohne Beständigkeit, wenn nicht eine Läugnung ihrer selbst, ein Kind ohne Lebenskraft, ein Dasein, das sein selbst Spott und Zerstörung wird, dadurch,

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 119. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/495&oldid=- (Version vom 1.8.2018)