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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

an alle apostolischen Gemeinden, ja an die Gemeinden der ganzen Welt hinausgehen könnte, das erscheint zunächst als Ermahnung an eine einzige Gemeinde. Vollkommen richtig, denn in jeder einzelnen Gemeinde erscheint das Bild der ganzen Kirche, jede einzelne soll sein und werden, was die ganze Kirche ist; jede soll sich den Ephesiern nach zueignen, was allen gehört, als ihr besonders gesagt und gegeben. Das vergißt man bei uns so gerne, das glaubt man kaum, das übt man nicht. So gehen dann nicht bloß der einzelnen Gemeinde, sondern der ganzen Kirche ihre Pflichten, ihre Rechte, ihre Güter verloren und es wird nichts mit dem Ganzen und ist nichts mit dem Ganzen, weil es mit der einzelnen Gemeinde nichts ist und nichts wird. Hilf den Gemeinden, den einzelnen, so hilfst Du der Kirche; unterlaß es und disputire einstweilen über den rechten Weg, der Kirche zu helfen, so kommst du selbst auf den Abweg und bist unnütz. Voll solcher Gedanken wende ich mich deshalb an Euch, die Ihr durch Gottes Vorsehung eine Gemeinde seid. Euch gehört dieser Text. Erkennet den Beruf, den alle Gemeinden des HErrn haben, Ein Leib und Geist zu sein, für den euren und beweget die Ermahnung des Apostels zu dem berufeswürdigen Wandel in einem feinen und guten Herzen. Thut Buße fürs Gegentheil von alle dem, was der Apostel befiehlt, ehe es Abend wird, und so viele Euer Ohren haben, die laßet hören und gehorchen dem Geiste des HErrn, der zu allen Tugenden der heiligen Einigkeit in dieser Epistel mit aller Weisheit mahnet. Amen.




Am achtzehnten Sonntage nach Trinitatis.

1. Cor. 1, 4–9.
4. Ich danke meinem Gott allezeit eurerhalben für die Gnade Gottes, die euch gegeben ist in Christo JEsu, 5. Daß ihr seid durch Ihn an allen Stücken reich gemacht, an aller Lehre und in aller Erkenntnis. 6. Wie denn die Predigt von Christo in euch kräftig worden ist, 7. Also daß ihr keinen Mangel habt an irgend einer Gabe, und wartet nur auf die Offenbarung unsers HErrn JEsu Christi; 8. Welcher auch wird euch fest behalten bis ans Ende, daß ihr unsträflich seid auf den Tag unsers HErrn JEsu Christi. 9. Denn Gott ist treu, durch welchen ihr berufen seid zur Gemeinschaft Seines Sohnes JEsu Christi, unsers HErrn.

 DAs erste Geschäft, deßen wir uns auch heute wieder zu entledigen haben, ist die Aufsuchung des Zusammenhangs zwischen den beiden gewählten Texten des Tages. Das Evangelium, aus Matth. 22, 34–46 genommen, behandelt zwei große Fragen: die nach dem größten Gebote, und die andere: wer ist Christus? Beide Fragen sind von der Art, daß man am Ende wohl sagen kann, es müße in ihrer Beantwortung, wie sie auch laute, die Summa aller Religion eingeschloßen sein, aller Reichtum des göttlichen Wortes. So kann man also auch sagen, das Evangelium handele von allem Reichtum des göttlichen Wortes, von allen den Schätzen, welche uns der heilige Geist in Seine Offenbarungen niedergelegt hat. Damit sind wir aber, so wenig es für den ersten Augenblick auch scheinen mag, dem Inhalte der Epistel unsers heutigen Sonntags sehr nahe, denn diese Epistel handelt von nichts anderem, als von dem großen geistlichen Reichtum der corinthischen Gemeinde, von einem Reichtum also, der wesentlich kein anderer sein kann, als eben der, von welchem das Evangelium spricht. Was im Evangelium als Frage und Antwort, als Lehre und Offenbarung erscheint, das wird im epistolischen Texte als geistiges fruchttragendes Eigentum der neutestamentlichen Gemeinde gezeigt. Es muß daher sowohl Evangelium als Epistel unter die reichen Texte des Kirchenjahres gestellt werden. Dennoch aber sind beide Texte so

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 121. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/497&oldid=- (Version vom 1.8.2018)