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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

übersichtlich, und doch auch so kurz, daß es kein Wunder ist, wenn sie dem oberflächlichen Leser nicht den Eindruck des Reichtums, sondern eher der Armuth machen, wenn man überhaupt ein Recht hätte, einen Unterschied zwischen reichen und armen Texten des göttlichen Wortes zu setzen. Vielleicht gelingt es uns jedoch, für diesmal wenigstens an der Epistel einigermaßen zu zeigen, daß wir oft den Reichtum in Armuth verkehren, so wie wir allenfalls auch geneigt sind, die Armuth für Reichtum zu halten.

 Bei der eingehenderen Betrachtung unseres Textes dürfen wir übrigens nicht mehr sagen, wie schon geschehen, er handele von dem geistlichen Reichtum der corinthischen Gemeinde. Ist gleich auf diese Weise der Text charakterisiert, wie es dem Evangelium gegenüber erwünscht ist, so erfordert doch auch die allgemeinste Inhaltsbezeichnung desselben eine andere Fassung. Sagen wir also lieber, die heutige Epistel enthalte den Dank des heiligen Apostels für allen geistlichen Reichtum der corinthischen Gemeinde, sammt Ausspruch darauf gegründeter Hoffnung für sie.

 Wir finden das öfter in den Eingängen paulinischer Briefe, daß der Apostel für Gnaden dankt, welche den Gemeinden zu Theil geworden sind. Dies fleißige Danken zeigt uns in ihm den großen Beter. Danken ist schwerer als Bitten; zur Bitte treibt Bedürfnis und Noth, jedenfalls die kräftigsten Hebel menschlicher Bewegungen; wenn aber Dankenszeit ist, ist keine Noth mehr vorhanden, und ein Bedürfnis zu danken, hat die arme verderbte Menschenseele von Natur nicht. So wird dann schwer, was den Heiligen Gottes süß ist und von der Schrift ein köstlich Ding genannt wird. Ist nun aber Danken überhaupt schwer, so muß man gestehen, daß diese Schwierigkeit um so mehr eintritt, wenn man nicht für sich, sondern wie der Apostel für andere danksagt. Die Fürbitte ist schon schwerer als die Bitte in eigener Angelegenheit, weil Noth und Bedürfnis zur Fürbitte nicht da sind, wie zur Bitte, und die Liebe selten mit ihrem höheren Triebe den Mangel des Bedürfnisses oder der Noth ersetzt. Manche Menschen beten daher immer nur für sich, während sie keine Erinnerung für Andere haben, wenn sie vor Gott stehen, oder wenigstens ihre Inbrunst erkaltet, so wie sie sich in ihrem Bitten zur Fürbitte kehren. Das ist nun alles noch viel mehr der Fall, wenn sichs um das Dankgebet im fremden Namen handelt. Die Noth des Bruders erregt Mitleid, das Mitleid kann auch zur Fürbitte bereit sein; ist aber Noth und Leiden des Nächsten gewendet, Heil, Hilfe und Freude eingekehrt, so vergißt der, dem geholfen ist, wie die Neune im Evangelium, so gern den Dank, geschweige der andere, der aus Mitgefühl danken soll. Ist es daher eine edle Seele, die für andere betet, so kann man derjenigen noch einen höhern Adel zuschreiben, die für andere dankt, welcher nicht bloß fremde Leiden, sondern fremde Freuden, Gluth und Inbrunst schaffen, sich zu Gott zu nahen. Eine solche Seele ist die des Apostels Paulus, von welcher wir aber noch höheres Lob zu berichten haben. Es kommt ja wohl zuweilen einmal über jeden ein Hauch vom Himmel und eine so tiefe und starke Einladung für das Glück des Bruders zu danken, daß man nur schwer widerstehen kann. Wenn nun auch über dich je einmal so ein gesegneter Augenblick kommt, und du ihm folgst, so bilde dir nur nicht ein, daß du ein Bruder Pauli und sein Genoße in Lob und Dank bist. Du dankst vielleicht einen Augenblick und dann nicht mehr, während St. Paulus von sich die Worte schreiben kann: ich danke meinem Gott allezeit für euch. Bei ihm ist also das vorübergehende Lob zu einem Zustand, zu einer Tugend geworden. Ihn ergreift nicht bloß zuweilen einmal ein Dankgefühl für andere, sondern er kann danken, er hat es durch Erfahrung und Uebung gelernt. Es wird ihm nicht schwer, sich mit anderen zu freuen und im Mitgefühle mit ihnen sich lobend und preisend dem HErrn zu nahen, er lebt in fremden Freuden, fremdem Glücke, selbst in mannigfachen Leiden wird er durch Mitgefühl und Dank für fremde Freuden erquickt. Auf dieser Höhe einer betenden Seele stehen wir nun freilich nicht, lieben Brüder, zumal ja der heilige Paulus für die Corinther nicht als für Lieblinge dankt, sondern wie bereits gesagt, für alle Gemeinden, für alle beten, ja für alle danken kann. Das klingt nahezu, wie immer und ohne Ende danken, das Leben in Dank verzehren, und das ist wohl ein herrlicher Gedanke für uns alle, bei wem ist es aber, wie bei dem heiligen Paulus Wirklichkeit? Merk also zu deiner Beschämung am Eingang dieser Betrachtung die Stufenleiter: beten für andere; danken für andere; immer

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 122. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/498&oldid=- (Version vom 1.8.2018)