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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

was glücklich macht, ihr Glück vollendet sich in ihrer Hoffnung. Aber können sie es denn nicht verlieren? Ist denn irgend etwas, was man auf Erden besitzt, so ganz und gar Eigentum des Menschen, daß es ihm unter allen Umständen verbleiben müßte? Sei die Ernte noch so reich, die wir besitzen, ruhe sie immerhin schon in den Scheunen und Vorrathskammern, man kann doch sagen, sie sei noch nicht völlig unser, so lang man sie nicht verwendet hat. Ebenso kann auch die Hoffnung verwelken und verderben, wie ein grünes Saatfeld, ehe es zur Reife kommt. Daher liegt auch für den Glücklichsten alles daran, daß sein Glück Bestand habe, und wer es daher noch nicht zu der ewigen Sicherheit gebracht hat, oder keine Gewisheit hat, es dahin zu bringen, den kann immer wieder die Furcht überfallen, die Angst und Sorge um seine liebe Gegenwart und seine freundliche Hoffnung. Es muß daher wie noch einen Wunsch, so bis ans Ende auch noch eine Wohlthat geben, und diese ist die Gnade der Beständigkeit alles unseres Glückes. Eben dieselbe fällt aber ganz und gar zusammen mit der Andauer unserer Buße, unseres Glaubens und unserer Heiligung, mit Einem Worte, unseres innerlichen rechten Verhaltens und Befindens. Wer daher sich selbst oder andern andauerndes Glück und bleibende Hoffnung wünscht, der wünsche ihm die Dauer eines unsträflichen Verhaltens, und weil der Wunsch zur Sache nicht hilft, so wenig als die Sorge, so laße er Wunsch und Sorge nach dem bekannten apostolischen Gebote zum Gebete werden. Weil aber das Gebet um geistliche nothwendige Güter von Seiten unsers HErrn immer erhört wird, und die Erhörung auch ins Leben tritt, wenn der Mensch nicht widerstrebt, so kröne der rechte Beter sein Gebet mit Zuversicht, und wage es getrost, die Zuversicht wie eine Weißagung auszusprechen in der Weise, die wir bei St. Paulo in unserm Texte lernen. Denn er sagt ja zu den Corinthern: „Er wird euch auch fest behalten bis ans Ende, auf daß ihr unsträflich seid, auf den Tag unsers HErrn JEsu Christi. Denn Gott ist treu, durch welchen ihr berufen seid zur Gemeinschaft Seines Sohnes JEsu Christi, unsers HErrn.

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 So hat uns denn diese heilige Epistel von ihrem Anfang bis zu ihrem Ende allen Reichtum vorgelegt, den eine Gemeinde aus der Hand des guten HErrn empfangen kann. Wie man ein Land in Provinzen theilt, so ist das ganze Gebiet dieses Textes in drei herrliche Theile, in Anfang, Mittel und Ende abgegrenzt. Der Anfang ist gemacht mit Wort und Erkenntnis, im Mittel steht die Befestigung und Kräftigung des Zeugnisses JEsu im Herzen, jene männliche Fülle alles Guten, daß man an keiner Gabe Mangel hat, und das selige Hoffen und Warten auf die Offenbarung unsers HErrn JEsu Christi; am Ende steht die Bewahrung und Festbehaltung bis ans Ende, und die Unsträflichkeit bis auf den Tag des HErrn. Schreibe nun über das ganze reiche Gebiet, welches so den Christen übergeben wird, einen gemeinschaftlichen Titel, welchen kannst du wählen? Ich rathe dir, ihn aus dem letzten Verse des Textes zu nehmen. Schreib getrost „Gemeinschaft des Sohnes Gottes JEsu Christi.“ In der Gemeinschaft JEsu findet man alle diese Güter, außer ihr ist kein Reichtum und kein Heil. Wer zu dieser Gemeinschaft von Gott berufen wird, der wird zu all dem Reichtum berufen, von welchem dieser Text geredet hat, und wer von Gott dem HErrn Selbst dazu berufen ist, der braucht keine Sorge zu haben, ob ihm auch alles werde zu Theil werden, ob er Anfang, Mittel und Ende finden wird, denn Gott, der ihn berufen hat, ist treu: was Er zusagt, das hält Er gewis; Er ist nicht ein Mensch, daß Er lüge, noch ein Menschenkind, daß Ihn etwas gereuen könnte: wenn jemand nur nicht widersteht, nicht boßhaft widersteht, so wird der HErr Seinen heiligen Willen, ihn zu einem Denkmal ewiger Gnaden zu machen, durchführen und ihn vollbereiten bis an den Tag, an welchem die Hochzeit des Lammes herein bricht und stattfindet die Einsetzung der Braut in alle Güter ihres Bräutigams. Dem treuen Gott traue daher, liebe Seele, und beginne schon hier im Glauben den Dank für allen den Reichtum, den du in Christo JEsu besitzest. Vertrauend und dankend gehe vorwärts vom Anfang zum Mittel und bis zum Ende; erfahre durch gläubiges Annehmen aller Güter des HErrn Seine göttliche Treue; je mehr dir verliehen wird, desto mehr danke, bis du endlich deinen Fuß durch die Pforten des leiblichen Todes auf das Gebiet des ewigen Lebens setzen kannst und alsdann dein Glaube

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 126. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/502&oldid=- (Version vom 1.8.2018)