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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

den korinthischen Reichtum unsers Textes hat, der weiß auch den Dettelsauer Reichtum des Jahres 1858 und seinen irdischen Erntesegen zu schätzen. Er überschätzt ihn nicht, eben weil er den korinthischen besitzt, aber er schätzt ihn, er kennt sein rechtes Maß und eben damit versteht er es auch zu danken. Er weiß, wo der höhere Dank hingehört, ob aufs Pfingstfest oder auf das Erntefest, er weiß, aus welchem Tone er den Dankpsalm für die Ernte anzustimmen hat, und indem er ihn also anstimmt nachdem gefundenen Maße, schallt er an diesem Tage am vollsten; denn der HErr hat Pfingsten und Erntefest gemacht und einem jeden seine Ehre gegeben: Er findet Sich hoch gepriesen, wenn Ihm an jedem Tage nach dem Maße desselben das Dankopfer gebracht wird. Lernet dem HErrn danken für die ewigen Güter, dann schallt auch am Erntefeste Psalm und Lobgesang, dann läßt Sich der HErr zu euch nieder und wohnt bei euch unter euren Lobgesängen, wie Er unter den Lobgesängen Israels wohnte, dann gefallen Ihm eure Lieder, eure Gebete, und Er spricht alsdann nicht mehr: „Thu nur weg von mir das Geplärr deiner Lieder, denn ich mag dein Psalterspiel nicht hören.“ –

 O HErr, sei gnädig uns armen Sündern; hilf uns geistliche und leibliche Ernten empfangen und lehre uns Lob und Dank für beide! Amen.




Am neunzehnten Sonntage nach Trinitatis.

Ephes. 4, 22–28.
22. So leget nun von euch ab, nach dem vorigen Wandel, den alten Menschen, der durch Lüste in Irrtum sich verderbet. 23. Erneuert euch aber im Geist eures Gemüths; 24. Und ziehet den neuen Menschen an, der nach Gott geschaffen ist in rechtschaffener Gerechtigkeit und Heiligkeit. 25. Darum leget die Lügen ab, und redet die Wahrheit, ein jeglicher mit seinem Nächsten, sintemal wir unter einander Glieder sind. 26. Zürnet und sündiget nicht; laßet die Sonne nicht über eurem Zorn untergehen. 27. Gebet auch nicht Raum dem Lästerer. 28. Wer gestohlen hat, der stehle nicht mehr; sondern arbeite und schaffe mit den Händen etwas Gutes, auf daß er habe zu geben dem Dürftigen.

 IM Evangelium wird uns die Heilung des Gichtbrüchigen vorgelegt, welchem der HErr zuerst die Sünde, dann aber die schmerzliche Ohnmacht seiner Glieder wegräumt. So wie in dem Evangelium von dem Aussätzigen der Aussatz ein Bild unserer geistlichen Unreinigkeit ist, so faßt die Kirche bei ihrer heutigen Textwahl den ohnmächtigen und dabei schmerzlichen Zustand des Gichtbrüchigen als leibliches Bild unserer geistlichen Ohnmacht. Der alte Mensch, von welchem in der Epistel die Rede ist, umgibt den neuen, und dieser, eingeengt von jenem, erscheint gehindert, gichtbrüchig und gelähmt, so daß er wie auf Hilfe warten muß, um seine schmerzlich gebundenen Glieder zu strecken und zu bewegen. Wie aber der leiblich Gichtbrüchige eine Hilfe bei Dem fand, der ihm die Sünde vergab, so findet auch unser geistlich gebundener neuer Mensch bei demselben Manne Hilfe und in derselben Weise. Das erste und nöthigste ist die Ruhe der Seele in der Vergebung der Sünden; darnach aber führt und leitet der heilige Geist unverweilt und unaufhaltsam in die Erneuerung ein und verschafft dem seufzenden neuen Menschen, daß seine Füße auf weiten Raum kommen, und seine Arme mit Kraft gestählt werden, Gottes heilige Werke zu wirken. Es findet also eine sinnvolle Beziehung der beiden Texte auf einander statt, welche sich der Seele leicht einprägt, so daß man einen Text mit dem andern wohl merken kann. Unser Auge ruht heute auf der Epistel und sie ist es, die wir genauer betrachten. Sie hat zwei Theile, von welchen der

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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 128. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/504&oldid=- (Version vom 1.8.2018)