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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

Gottes sei, vielmehr ist er die Verderbnis der göttlichen Creatur, durch des Teufels Neid, List und Kraft in unsere Natur eingedrungen, auf daß der Schöpfer in seinem Geschöpfe zu Schanden werden möchte. Der aber überbietet in seiner göttlichen Weisheit und Allmacht den Satan in seiner Macht und Klugheit und beginnt mitten in der alten Verderbnis eine neue Schöpfung, schafft einen neuen Menschen, von welchem in unserem Texte geschrieben steht, er sei nach Gott geschaffen. Da ist denn also Gottes Bild mitten im Wust der Verderbnis wieder hergestellt, und wenn gleich diese neue Schöpfung anfangs nur ein sehr schwaches und kleines Kindlein ist, dem mehr als ein Herodes das Licht des Lebens nehmen will, so weiß es der Schöpfer dennoch zu erhalten und groß zu ziehen, zu beschirmen, zu behüten, zu bewahren. Wie in der alten Natur betrügliche Lüste hausen, so beherrscht den neuen Menschen, wie Luther übersetzt, rechtschaffene Gerechtigkeit und Heiligkeit, oder, um genau am Wort zu bleiben, Gerechtigkeit und Unschuld der Wahrheit. Aus der göttlichen Wahrheit, der Predigt des Evangeliums gezeugt und geboren ist der neue Mensch; die Wahrheit ist seine Mutter und Amme, die ihn mit ihrer Milch und ihrem Lebenssafte nährt, und aus dieser Geburt und Nahrung kommt gegenüber den Menschen eine heilige Gerechtigkeit, ein Wohlverhalten, wie es einem Kinde Gottes ziemt, Gott aber gegenüber ein reines keusches Wesen des Geistes, eine Unschuld, wie man sie mitten unter den Versuchungen der Welt und der Teufel nicht vermuthen sollte.

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 Der alte und der neue Mensch sind aber wie zwei Naturen in einer Person, und zwar Naturen, die nichts mit einander gemein haben, von einander durchaus verschieden sind, einander widerstreiten, eine die andere aufzuheben und auszutilgen suchen. Zwischen den beiden Naturen und Trieben steht nun der Geist des Menschen. Hat Gott in einem Menschen die neue Creatur noch nicht geschaffen, so wird sie durch keine Sehnsucht hergestellt, auch wenn sich die Macht der ganzen Hölle oder auch des Himmels mit ihr verbände. Ist aber im Menschen einmal durch Gottes Gnaden eine neue Creatur, so vermag sie der Geist des Menschen zwar nicht zu erhalten, denn das ist Gottes Sache, wohl aber ihr Raum zu laßen oder nicht; der Geist eines Wiedergeborenen kann die Schleusen der neuen Creatur aufziehen, daß sich die heiligen fruchtbaren Waßer in alle Theile des inneren Lebens ergießen, er kann die Waßer, die er nicht schaffen kann, strömen laßen, oder er kann auch, wenn sie strömen wollen, die Schleusen zuziehen und den Erguß verhindern. Der Apostel gebraucht ein anderes viel treffenderes Bild, das aber noch stärker als das von mir gebrauchte die Macht und Kraft des wiedergeborenen Geistes betont. Er vergleicht den neuen Menschen wie den alten einem Kleide: der Wiedergeborene hat einen alten und neuen Menschen, ein altes und neues Kleid; jenes soll und kann er ausziehen, dieses soll er anziehen und darinnen einhergehen, ruhen und rasten, ohne jemals es wieder abzulegen. Beides kann und soll er nicht aus natürlicher Kraft und Macht, sondern nach der Kraft, die ihm der HErr in seiner Erneuerung darreicht, nach der göttlichen Kraft, die in uns wirket. Dieses doppelte Geschäft des Ausziehens und Anziehens, welches nicht ein einmaliges, sondern ein wiederkehrendes, tägliches und stündliches ist, da wir den neuen Menschen leicht verlieren können, wie ein Kleid, bezeichnet die innerste Tiefe der christlichen Heiligung, und wer es redlich übt, der opfert geistliche Opfer im Heiligtum. Wer auf sich selbst Acht gegeben hat, wenn irgend eine Wahl zwischen gut oder bös an ihn kam, irgend eine Versuchung, den rechten oder falschen Weg zu gehen, der kann es wißen, wie da der Geist hin und her wogt und es ein Ausziehen und Anziehen gilt, ein Verläugnen der Versuchung, eine immer neue Ergreifung des ewigen Lebens, von dem man selbst ergriffen ist. Hie läßt sich mit roher Hand, mit rohem Urtheil nichts erreichen, sondern wir sind hier in einer still verborgenen innern Werkstatt des Geistes von geheimnisvollem Leben. Wie wird man hie Meister und wie wird das Gericht hinausgeführt zum Siege? Der Apostel gibt Rechenschaft, indem er Vers 23. von der Erneuerung des Geistes unseres Gemüthes redet. Er unterscheidet also Geist und, wie Luther übersetzt, Gemüth, und nennt das, was in unserem Gemüthe regiert, die oberste von vielen unter uns kaum je belauschte Kraft, den Geist. Diese oberste innerste Kraft soll täglich erneuert werden, damit sie alsdann vermöge, den alten Menschen aus, den neuen anzuziehen. Ich muß es euch gestehen, meine lieben Brüder, daß wir hier mit einander von einem inneren

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 130. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/506&oldid=- (Version vom 1.8.2018)