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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

Liedern; singet und spielet dem HErrn in eurem Herzen; 20. Und saget Dank allezeit für alles, GOtt und dem Vater, in dem Namen unsers HErrn JEsu Christi; 21. Und seid unter einander unterthan in der Furcht GOttes.


 IN dem heutigen evangelischen Texte sehen wir den Vorhof des ewigen Hochzeitsaales, die Kirche auf Erden, in ihrer Misgestalt, und wie endlich der ewige Bräutigam erscheint und eine Scheidung macht zwischen den geladenen Gästen, je nachdem er an ihnen Sein hochzeitliches Kleid findet oder nicht. Neben diesem großartigen gewaltigen Texte geht der epistolische Text her, in dem allerdings nicht von dem hochzeitlichen Kleide die Rede ist, wohl aber von den herrlichen Folgen desselben, wo es ist, und von den schrecklichen Folgen seiner Abwesenheit. Da sieht man die Einen, die das hochzeitliche Kleid an sich tragen, vorsichtiglich, wie Luther übersetzt, oder genau, streng genau wandeln, dazu auch voll Psalmen und Hymnen und Oden der Ankunft des himmlischen Bräutigams entgegen harren, während die Andern, welche der Mangel der heiligen Gerechtigkeit JEsu nicht ruhen läßt, einen unordigen Wandel führen und sich allen Lüsten ergeben, welche wider die Seele streiten. Es wird also in den beiden Texten ein doppelter Blick eröffnet in ein und dasselbe große Lebensgebiet, in die streitende Kirche auf Erden, und recht harmonisch und vollkommen alle Nothdurft und aller Mangel derselben den Gemeinden vorgelegt.

 Was nun den epistolischen Text anlangt, so hat er mit dem des vorigen Sonntags in so fern etwas gemein, als auch er einen allgemeinen und einen speziellen Theil hat. Wie in der vorigen Epistel der gedoppelte Wandel des alten und neuen Menschen, dann aber einzelne Früchte beider betrachtet und abgehandelt werden, so redet der heutige Text zuerst in den drei Versen vom 15. bis zum 17. von dem genauen Wandel der Christen, und bringt dann vom 18. bis zum 21. Vers Einzelheiten vor, in denen sich beides, der genaue und der ungenaue Wandel des christlichen Volkes gezeichnet findet.

 So sehet nun zu, spricht der Apostel, wie ihr vorsichtiglich (oder genau) wandelt, nicht als die Unweisen, sondern als die Weisen.“ Damit ist also ausgesprochen, daß ein genauer Wandel den Weisen geziemet, ein ungenauer aber sich bei den Unweisen findet. Der Weise und der Unweise können beide einerlei Sinn und Meinung im Allgemeinen haben, dazu auch einerlei Lebenszweck und Ziel. So findet man ja auch bei allen, die sich zu der christlichen Schaar rechnen laßen, als Ziel das ewige Leben: alle wollen selig werden, am Ende auch alle durch JEsum Christum; die einen aber nehmen sich in Acht, daß sie das Ziel nicht aus dem Auge, den Weg nicht unter den Füßen verlieren, sie geben Acht, sie nehmen es genau mit ihrem Wandel; die andern aber gehen dahin in den Tag hinein und halten ihren Glauben mehr in fleischlichen als in geistlichen Händen; in der Meinung, daß es ihnen nicht fehlen werde, wenn es zum letzten Abdruck kommt, sind sie leichtsinnig in ihrem Christenwandel und machen mit ihrer Heiligung keinen Ernst. Es ist offenbar, daß die ersteren um ihres Eifers willen in der Heiligung durchaus nicht nöthig haben, ihr Vertrauen ihren Werken zuzukehren und von dem einigen Grunde ihres Lebens, von Christo und Seinem Leiden abzuwenden; der streng genaue Wandel der Heiligen ist nichts als Weisheit, damit nicht das ewige Gut, welches Christus JEsus erworben hat, durch unheilige Hände verloren werde. Umgekehrt ist es nichts weniger als Weisheit, mit dem Bekenntnis der Seligkeit allein aus Gnaden ein unheiliges leichtsinniges Leben zu verbinden; da will man wohl selig werden, aber auf diese Weise wird man es eben doch nicht; was der Sohn Gottes mühevoll erworben hat, das fällt durch einen unheiligen Wandel schändlich dahin und die Verdammnis derer, welche dem Sohne Gottes trotz aller dargebotenen Gnadenkräfte in dieser Welt Schande machen, ist ganz recht. Wer also weise handeln will und sein Ziel erreichen, der erwähle sich unter dem Paniere der Seligkeit allein aus Gnaden zum täglichen Berufe einen strenggenauen Wandel und ruhe und raste nicht, bis er sein gesammtes Leben und alle Beziehungen desselben dem HErrn Christo unterthänig gemacht hat.

 In das Gebiet dieser Ermahnungen zu einem streng genauen Wandel gehört alles das, was der 16. und 17. Vers in sich faßt, ebenso wohl was Luther mit den Worten ausdrückt: „Schicket euch

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 135. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/511&oldid=- (Version vom 1.8.2018)