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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

in die Zeit“; als was der 17. Vers von dem Aufmerken auf den göttlichen Willen enthält. Luthers Uebersetzung: Schicket euch in die Zeit, ist wie so oft keine wörtliche Uebersetzung und soll es auch nicht sein, sondern Luther gibt den Sinn des Ausdrucks, wie er ihn verstanden hat, treulich wieder und verdient auch hier das Lob, welches ihm unsere lutherischen Väter so oftmals gegeben haben, wenn sie behaupteten, seine Uebersetzung vertrete zugleich einen Commentar der Bibel und gebe seine Auslegung derselben an. Es liegt in diesem Lobe ein großer Vorzug der lutherischen Uebersetzung angegeben, möglicherweise aber auch der dunkle Fleck, wie denn überhaupt dicht neben der höchsten Gabe eines Menschen seine Schwachheit einherzugehen pflegt. In dem besonderen Falle, von dem wir reden, heißen die Worte der Schrift eigentlich so: „Sehet zu, wie ihr einen genauen Wandel führet, nicht als die Unweisen, sondern als die Weisen, die den Zeitpunkt auskaufen oder ausnützen, denn die Tage sind bös.“ Da sieht man also, daß der Apostel wirklich und im eigentlichsten Sinne die Benützung der Zeit oder des Zeitpunktes zu dem genauen Wandel rechnet. Der Apostel nimmt die Tage für bös, d. h. er ist der Meinung, daß sie im Allgemeinen wenig Gelegenheit bieten, dazu auch wenig Unterstützung und Erleichterung, Gutes zu thun; daß die Umstände und Verhältnisse einen heiligen Gang des Menschen durch die Zeit erschweren, daß sie der Heiligung ungünstig sind und das Gute aufhalten. Dies allgemeine Urtheil über die Zeit aber hindert ihn gar nicht, sondern im Gegentheil, es reizt ihn an, den einzelnen günstigeren Zeitpunkt von der Zeit im Allgemeinen zu scheiden, die Ephesier, in ihnen aber alle Christen zu der gleichen Unterscheidung anzuleiten und sie zur möglichsten Benützung und Ausbeutung jeder sich darbietenden Gelegenheit, Gutes zu thun und vorwärts zu kommen, zu ermahnen. Wohl wißend, daß der HErr den Seinen mitten in der unwirthbaren und unfruchtbaren Welt doch noch immer den Triumph gönnt und verschafft, gute Thaten auszusäen, sollen sie auf die Stunden achten und mit feinem Sinne eine jede prüfen, was in ihr zum heiligen Vorwärts geschehen kann. Und wie sie die Zeit richtig verstehen sollen, so sollen sie dann auch in der gelegenen Zeit gerade das rechte, den Willen Gottes, vollbringen, zu jeder Zeit das für sie paßende Werk, bei jeder Gelegenheit das beste, was geschehen kann, unermüdlich dem Wink und Willen Gottes folgend. Der Apostel unterscheidet die Erkenntnis der rechten Zeit von der Erwählung der rechten That; er weiß wohl, wie oft es geschieht, daß eine Stunde als günstig zu guten Werken erkannt, dabei aber das verkannt wird, was geschehen soll. Ob er aber gleich den Unterschied macht, der sich in der That auch so oft findet, so ist es doch nicht seine Meinung, daß bei den Christen getrennt und unterschieden sein soll, was zwar besondere Gabe ist, doch aber nur zusammen ausgeübt werden soll und nach Gottes heiligem Willen verbunden werden muß. Wer die günstige Zeit erkennt und dann doch versäumt, sie richtig zu benützen, der kauft den Zeitpunkt nicht aus, ist weder verständig noch weise, sondern im Gegentheil, er fällt in ein schweres Gericht des HErrn, weil er seine Frucht nicht brachte zu seiner Zeit, sondern dem Feigenbaum ähnlich, welcher dem suchenden Schöpfer und Erlöser Blätter ohne Früchte darbot. Darum sagt eben der Apostel im 17. Verse: „Werdet nicht unverständig, sondern verständig, was da sei des HErrn Wille.“ Zur Weisheit gehört der rechte Verstand und das rechte Aufmerken auf jeden Schritt und Tritt, der zu jeder Zeit geschehen soll. Im Auge das Ziel, unter dem Fuße den rechten Weg zum Ziele, in der einen Hand die Uhr, Zeit und Gelegenheit zu beachten, während die Rechte bereit liegt, auf dem Wege zur ewigen Heimat Gottes heiligen Willen in allen einzelnen Dingen zu vollbringen, so sehen wir den Christen St. Pauli in unserem Texte, den Gläubigen von genauem Wandel, gegen welchen die Christen, wie sie jetzt sind, in ihrer selbstzufriedenen Trägheit gewaltig abstechen. So wie der Mensch von gemeinem Schrot und Korn als nächstes Ziel seines irdischen Lebens ein behagliches und glückliches Dasein wählt und spießbürgerlich all sein Thun und Laßen darauf hinrichtet, sich auf Erden anzubauen und in seinen Hütten friedlich und gemächlich zu wohnen: so hofft der Christ der gewöhnlichen Art von seinem Christentum selbst ruhigen Lebensgenuß, und sein geistliches Leben muß sich seinem Hang und Verlangen nach zeitlichem Guthaben fügen. Ein genauer Wandel ist ihm zu unbequem; alles aufs Ewige hinauszurechnen ist ihm zu anstrengend und zu störend; ein

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 136. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/512&oldid=- (Version vom 1.8.2018)