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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

Leben, da man immerdar auf seiner Hut ist, immer auf dem Wege, da man nur immer auf günstige Zeitpunkte lauschen und die besten Werke in Obacht nehmen muß, – ein solches Leben däucht nicht Lust, sondern Last. Wem’s gefallen soll, der bedarf eine Anregung, ein Licht und eine Kraft von oben und obendrein guten Muth, es zu ertragen, wenn sein grader Gang, sein waches Auge, sein vorsichtiger Fuß, seine behende und starke Hand im Lande der Faulen, der Trägen, der Blinden, der Lahmen nur Unwillen und Anstoß und Misgunst erweckt. Wohl aber denen, denen es gegeben wird, daß sie es wagen, genau zu wandeln, und damit anzuhalten bis ans Ende!

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 Bei dem Uebergang des Apostels zum besonderen Theile unseres Textes erscheint nun wie herausgesucht aus allen möglichen Dingen voran das grelle Gegentheil des genauen Wandels, indem der Apostel spricht: „Saufet euch nicht voll Weines, woraus ein unordiges Wesen folgt.“ Wer wird wohl unfähiger sein, einen genauen Wandel zu führen, als der Säufer, er berausche sich in welchem Getränk er will? Dies einzusehen, bedarf es des Geistes Gottes nicht. Nicht bloß alle Religionen, sondern auch aller Menschen Vernunft stimmt darin zusammen, daß Trunkenheit ein Laster ist, und ein jammervoller Versuch des Menschen, sich selbst des königlichen Vorrechts zu berauben, das ihm Gott vor allen sichtbaren Wesen gegeben hat, nemlich der Vernunft und ihres freien Gebrauches. Wollte man aber auch eine Einwendung machen und sagen, daß der Rausch nicht alle und nicht immer des Gebrauches der Vernunft beraube, so ist und bleibt es immerhin eine Schmach, durch Uebermaß des Getränkes Leib und Seele zu beschweren, und den Leib, der ein Tempel des heiligen Geistes ist und sein soll, auf diese Weise zu verunreinigen und seine Geschäfte zu verhindern. Man sollte denken, das Verbot einer so unsinnigen Sünde müßte um so allgemeineren Eingang und Gehorsam finden, weil sich die Uebertretung so merkwürdig straft. Es ist ja nicht einmal nöthig, auf die leiblichen Folgen der Trunkenheit hinzuweisen, die allbekannt und durch die von Mäßigkeitsvereinen herausgegebenen Schriften mehr als in früherer Zeit ins grelle Licht gestellt worden sind und täglich gestellt werden. Es sollte kein Mensch bedürfen, auf die unverantwortliche gräuliche Verwüstung aufmerksam gemacht zu werden, welche das Uebermaß im Trinken im menschlichen Leibe hervorbringt. Oder sollte es wenigstens nicht nöthig sein, auf etwas anderes als den leiblichen Schaden hinzuweisen, um die Menschen vom Laster der Trunksucht zu heilen. Die schon belobten Mäßigkeitsvereine, welche doch gar nicht einmal Ausflüße des Christentums sein müßen, unter Ungläubigen mit Erfolg wirken können und auch wirken, beweisen es, was zur Ausrottung von so schändlichen groben Sünden schon ein Aufruf der Vernunft und des natürlichen Willens ausrichten kann. Hat es doch unter Heiden, Muhamedanern und Juden je und je in solchen Dingen Bekehrungen und Aenderungen gegeben, und was Heiden in natürlicher Kraft vermochten, das sollten doch in der That auch Christen vermögen, selbst ehe sie sich nur daran erinnert haben, daß ihnen höhere Kräfte zur Seite stehen, daß ihnen Einflüsse des göttlichen Geistes hilfreich sind. Ja man sollte denken, daß für Ephesier und andere Christen die Verweisung auf das unordige Wesen, welches aus der Trunkenheit folgt, wie St. Paulus lehrt, schon hinreiche, um ihnen alles Trinken und jedes Uebermaß widerwärtig zu machen und abzugewöhnen. Aber freilich, die Erfahrung lehrt uns anders. Ihr seid auch vernünftige Menschen, wie die Ephesier; auch seid ihr, wie sie, getauft und lebet unter den Einflüßen der heiligen Sakramente, dazu unter beständigen Ermahnungen des göttlichen Wortes. Man sollte denken, sogar unter euch, von den Ephesiern zu geschweigen, sollten Unmäßigkeitssünden und das Laster der Trunkenheit nicht einmal genannt werden. Dennoch ist das Gegentheil der Fall. Anstatt die Höhlen zu fliehen, wo der Unmäßigkeit Vorschub gethan wird, anstatt euch von ihnen zurückzuziehen, wie von Orten der Pestilenz, üben sie auf eure noch obendrein mit allem Fleiße unterrichtete Jugend eine unbegreifliche Anziehungskraft aus und ihr, die ihr von Jugend auf scharret und sparet, karget und geizet, als könntet ihr damit selig werden, könnet nicht bloß sehen, wie andere ihr mühsam Errungenes und Erspartes hinauswerfen, um sich einen Rausch zu kaufen, sondern ihr gehet dem Satan selbst in die Falle und macht es gerade so. Eure sogenannten Kirchweihen, eure Jahrmärkte, eure Sonntagsnächte schreien deshalb zum Himmel und verklagen euch ob

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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 137. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/513&oldid=- (Version vom 1.8.2018)