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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

eurer groben, maßlosen Missethat. Dazu ist es am Tage, wie eure Jugend unter solchen Eindrücken und Einflüssen und bei dieser Gewöhnung zur Lüderlichkeit, die von euren Trink- und Tanzplätzen ausgeht, ganz auffallend versumpft und verdumpft und ihre Geistesfähigkeiten wie verrauchen. Man kann doch keinen andern, als einen äußerst trüben Blick auf das nachfolgende Geschlecht haben, und doch redet St. Paulus an die Ephesier und an die andern Gemeinden, dazu auch der Chor aller Apostel und der ganzen Kirche, und was noch unverantwortlicher ist, euer Heiland und der dreieinige Gott umsonst an euch hin; und nicht so viel Werth und Kraft hat auf euch und für euch das vereinigte Wort Gottes und aller Seiner Heiligen hier und dort, daß ihr auch nur diese schmählichste, niederträchtigste und erniedrigendste aller Sünden, diesen groben Dienst der Materie, die Berauschung und das aus ihr folgende unordige Wesen aufgäbet. Der HErr sei euch gnädig und wende das Uebel, Er rechne es euch nicht zur ewigen Schmach und Schande, und gebe euch vielmehr nach dem weiteren Worte des Apostels in unserem Texte voll zu werden des heiligen Geistes.

 Als an jenem großen Erstlingsfesttage der Kirche Gottes, am ersten Pfingsttage, die Apostel des Geistes voll waren, da riefen die thörichten Spötter: „Sie sind voll süßen Weines“. Und doch ist die Wirkung des heiligen Geistes auf die Apostel das grade Gegentheil von der Wirkung des Getränkes gewesen; und doch kann man den Rausch der unmäßigen Trinker nur ein satanisches Widerspiel und eine abscheuliche Nachäffung jenes heiligen Zustandes nennen, in welchem die Apostel waren, wenn man überhaupt nur eine Vergleichung zwischen beiden Zuständen anstellen mag: denn es ist vornherein eine widerwärtige ungeziemende Vergleichung, eine Vergleichung, die im Gegensatz endet, und die fromme Menschen zum Gegensatz treiben sollte, nemlich eben dazu, daß sie sich füllen laßen mit dem heiligen Geiste, wozu der Text selbst die beste Anleitung gibt.

 Wohl mag es sein, daß der oder jener, der allerdings nicht geneigt ist, einen Zustand, wie er an den Aposteln an Pfingsten zu sehen war, mit einem Weinrausche zu vergleichen, es doch auch wieder nicht recht wahrscheinlich findet, daß jener begeisterte Zustand sich mit einem genauen Leben zusammenreimen laße, wie es unser heutiger Text predigt. Wenn er zumal den 19ten und 20ten Vers mit dem begeisterten Zustande der Apostel und ersten Christen zusammen nimmt, das Singen und Spielen im Herzen, das gegenseitige Zusprechen und Singen von Psalmen und Hymnen und Oden, das allenthalben und aller Orten eintretende Danksagen als natürlichen und unaufhaltsamen Erguß jenes hohen geistlichen Lebens faßt: wie leicht ist es da, das Gegentheil von jener heiligen Nüchternheit warzunehmen, die zu einem genauen Wandel gehört. Und doch ist es in der That und Wahrheit so, daß zwar der Weinrausch die Nüchternheit aufhebt, die Fülle des Geistes aber alle Hindernisse derselben wegschafft und sie selbst herstellt. Wer ist nüchterner: jene Juden, welche die Fülle des Geistes als Weinrausch faßen, oder der hohe Kephas, der sie, selbst unwiderleglich, widerlegt, der, obwohl des Geistes voll, alle Verhältnisse und Umstände mit der größten Schärfe und Wahrheit beobachtet und auffaßt und aus dem Mittelpunkt seines geistlich gehobenen Lebens heraus ein vollkommenes Urtheil über alle Dinge abgibt? Das ist eben der Wahn, welcher manchen Menschen plagt, daß der Geist Gottes den Menschen ihren richtigen Blick in diese Welt herein wegnehmen könnte: ein Wahn und Mistrauen, das keinen guten Grund hat, aus keinem nüchternen, keinem frommen Herzen fließt! Weil zuweilen ein Mensch, der Psalmen und Hymnen und Oden singt, Gott allewege Dank sagt und des Geistes voll scheint, der Nüchternheit ermangelt, so sieht man den Mangel geradezu als Frucht und Wirkung des geistlichen Lebens an, aus welchem der Dank und Lobgesang stammt, und anstatt sich für so eine verkehrte Meinung strafen und züchtigen zu laßen, hält man sie oftmals desto hartnäckiger fest. Wir aber wißen aus des Apostels Munde, glauben, bekennen und behaupten frei, daß ein genauer Wandel durch nichts mehr gefördert wird, als durch ein Leben im Geist und durch die heiligen Uebungen, von welchen St. Paulus spricht. Wir dämpfen den Geist nicht, wo er sich regt: im Gegentheil, wir wünschten, daß alle Welt seine Regungen reichlich und mächtig erführe, und wir empfehlen geradezu die heiligen Uebungen, die unser Text enthält, allen denen, welche die Gabe des in ihnen vorhandenen heiligen Geistes erwecken und pflegen und die Schleusen seiner Waßer

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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 138. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/514&oldid=- (Version vom 1.8.2018)