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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

und Schätze ziehen wollen. Ja wir sagen, wer nüchtern werden wolle, der müße des Geistes voll werden, der allein das rechte Licht und Urtheil über alle Dinge zu geben vermag. Wir wollen auch diese geistlichen Uebungen der Psalmen und Hymnen und Oden, des Gesanges und Psalterspiels und der Danksagung keineswegs bloß in die öffentlichen Gottesdienste verlegen laßen, wir legen unseren Finger auf das „allezeit“ des 20. Verses und wollen mit dem Apostel, daß das ganze Leben erfüllt werde mit Dank und Psalm und Lied und Lob. Wäre es nur also, drängen nur diese Grundsätze hindurch, so wäre es aus mit der niederträchtigen Rohheit und Gemeinheit, die unter euch nichts Gutes, nichts Edles, nichts Schönes aufkommen läßt, und zu Ende mit der angeerbten väterlichen Sitte eines bloß im Niedrigen sich bewegenden Gewohnheitslebens. Hört nur ein einziges Mal mit nüchternem Ohre in eure gewöhnlichen Unterhaltungen hinein: wovon sprecht ihr, welche Worte braucht ihr? Ich meine, die meisten heben Worte und Gedanken vom schmutzigen Weg auf und wandeln innerlich kothigere Straßen, als ihr Fuß äußerlich betritt. Schämen sich doch die meisten edlerer Gefühle und Reden und einer heiligen Bildung, halten für Hochmuth ein Leben, das nicht im hergebrachten Schmutze lungert, und erröthen, wenn sie auch sonst keine Schamröthe kennen, so bald sie ein edleres Gefühl durchbebt, und sie der Geist einlädt zu einem himmlischen Leben. Ach wie wird man des Dinges und Lebens so müde, wenn man es Jahrzehnte lang seine schmutzigen Kreise um sich hat weben und ziehen sehen! Wie wünscht man diesem Vorhof der Hölle, dieser niederträchtigen Gemeinheit Tod und Ende, und den Beginn eines neuen heiligen Lebens!

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 Ich freue mich hier, durch meinen Text zur Besprechung eines Gegenstandes veranlaßt zu sein, über welchen zu reden sich nicht oft Gelegenheit findet: ich meine die Volkslieder. Wie wir aus unserm Texte sehen – denn die Ermahnung des Apostels wurde doch gewis befolgt, – redeten die ersten Christen einander zu mit Psalmen und Hymnen und Oden, sangen und spielten dem HErrn von Herzensgrund und sagten Gott allezeit Dank für alles im Namen unseres HErrn JEsu Christi, wie uns auch andere Stellen der heiligen Schrift z. B. Col. 3, 15–17 beweisen und 1 Cor. 14, 26 unverkennbar deutlich zeigt. Die ersten Christen hielten sich für verpflichtet, zu ihrer gegenseitigen Erbauung beizutragen, und es geschah dies auch auf die mannigfaltigste Weise von dem einen so, von dem andern anders. Psalmen, wie sie der Psalter in göttlicher Fülle darbeut, Hymnen oder Lobgesänge auf Gott und Christum, Oden, geistliche Lieder des mannigfaltigsten Inhaltes, heilige Musik, Saitenspiel und Gesang und inbrünstiger Dank erklang, wo überall die Christen zusammentraten, und ihr gemeinschaftliches Leben gewann dadurch jene wonnige Höhe und verklärte Schönheit, von welcher nur diejenigen etwas wißen können, die, wenn auch nur im kleinen Maße jetziger Zeiten, selbst einige Erfahrung davon haben. Ich habe die Ueberzeugung, wenn ihr euch in diese Erfahrung hineinbegeben möchtet, es würde dadurch nicht allein euer Leben im Ganzen veredelt und verklärt, sondern auch eure Sing- und Sangeslust geheiligt werden. Ihr Jünglinge singt so oft, daß die Straßen von eurem Gesange widerhallen, wenn nemlich euer Getöne werth ist, ein Gesang genannt zu werden. Was singt ihr aber? Wie oft habe ich dem oder jenem unter euch zugeredet, mir, dem verordneten Hirten, eure Lieder vorzulegen und sie mit mir in das Licht Gottes zu stellen, auf daß ihr unangefochten, mit gutem Gewißen, mit Freuden singen könntet, was im Heiligtum Gnade finden kann, und wegwürfet, was der christlichen Lippe unwerth ist. Wie habe ich euch zu einer gemeinsamen Beurtheilung eurer Lieder zu reizen gesucht durch das Bekenntnis, daß es ja christliche Volkslieder geben könne und auch wirklich gebe, und daß kein treuer Hirte seinem Volke Lieder zu nehmen begehre, die man vor Gottes Ohren singen dürfe. All mein Anerbieten aber hat mir nie genützt. Ihr mochtet ebenso wenig die Lieder der Kirche statt eurer Lieder wählen, als ihr eure Lieder ins Licht vor Gottes Angesicht gestellt haben wolltet: euer wilder wüster Gesang dauerte Jahrzehnte fort, lichtscheu, in den Nächten, und so, daß Melodie und Ton verriethen, welches Inhaltes eure Lieder seien. Zuweilen habe ich auch verstehen können, was ihr sanget, und fand Grund und Ursach genug, über euch und eure Lieder zu seufzen. Ich biete euch noch einmal meine treue Hand: laßt uns miteinander eure Volkslieder besehen. Die Knaben im Dorfe, die auf den Gaßen spielen, räumen oft eilends den Spielplatz, wenn sie

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 139. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/515&oldid=- (Version vom 1.8.2018)