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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

den Pfarrer kommen sehen, welcher doch gegen das unschuldige Spiel der Kindlein nichts hat noch haben kann, dem es viel lieber ist, wenn sie öffentlich spielen, als wenn sie in Winkeln sitzen. Vielleicht habt ihr ebenso mannigfach gar keine Ursache, eure Lieder zu verstecken, vielleicht brauchen manche als in Gott gethane Werke das Licht gar nicht zu scheuen; aber bringt sie doch ans Licht, damit sie nicht alle als Werke der Finsternis verworfen werden müßen. Es ist ja öfters der Fall, daß Menschen böses Gewißen haben, wo nichts böses vorhanden ist, als der Sinn und das böse Gewißen selbst: darum folget doch der Einladung, die ich euch mache; es liegt in solchem Gehorsam vielleicht ein erster Schritt eurer eigenen Rückkehr zu einem geistlichen Leben voll heiligen Gesanges und süßer Freuden der Danksagung.

 Zum Folgen, zum Gehorsam gegen das göttliche Wort ermahnten euch meine letzten Worte. Mit ihnen breche ich billig ab und gehe über zum Schluß der heiligen Epistel, die ja auch vom Folgen und vom Gehorsam redet. Wenn wir Ermahnungen zusammen zu reihen hätten, welche bestimmt wären, einen genauen Wandel bis in seine Einzelheiten zu zeigen, ich zweifle, daß wir die Ermahnungen, die unser Text enthielt, zusammenreihen würden und zweifle ebenso, daß wir die nun folgende letzte Ermahnung zum Gehorsam für diesen Zweck wählen würden. Der Apostel sagt nemlich: „Seid unter einander unterthan in der Furcht Gottes.“ Indem er spricht: „unter einander“, faßt er die verschiedensten Menschen und ihre verschiedensten Lebensverhältnisse zusammen, voran ohne Zweifel die Abhängigkeitsverhältnisse, aber auch die der Ueberordnung und der Gleichstellung, und will, daß die Untergeordneten, die Uebergeordneten, die Beigeordneten, daß alle sich gegenseitig unterordnen, und das in der Furcht des HErrn. Allerdings sieht das gar nicht so aus, als ob es zu einem genauen Wandel nöthig wäre; aber es ist nöthig und wer nur ein wenig nachdenken will, der wird es finden, wie viel darauf ankommt, daß alle in der ganzen Kirche von einem heiligen Eifer der gegenseitigen freiwilligen Unterordnung durchdrungen seien. Wer nach allen Seiten hin sich allen unterordnet, gleichviel, ob sie seine Vorgesetzten oder seine Untergebenen seien, der gewinnt nicht bloß alle, sondern er trägt dieselbige Gesinnung auf andere über oder legt ihnen wenigstens die kräftigste Ermahnung dazu ins Herz. Wenn man sich eine größere Anzahl Menschen von diesem seligen und gegenseitigen Eifer durchdrungen denkt, so bekommt man das lieblichste Bild eines heiligen Zusammenlebens, das ganze Leben erscheint im festlichen Frühlingsglanz der Liebe. Der Gedanke schon von einem solchen Zusammenleben könnte uns zu jeglicher Bemühung für dasselbige aufrufen. Es kann und darf aber auch nicht geleugnet werden, daß gerade die Uebung einer allseitigen demüthigen Rücksicht und Unterordnung keine Sache der bloßen Gabe und Anlage ist, sondern andauernden Fleiß und treue Bemühung fordert. Gehorsam nach allen Seiten hin ist Tugend und heilige Fertigkeit im Guten; ich möchte diese Tugend die schönste Blüthe eines genauen Wandels nennen und glaube, daß der Apostel seine Ermahnungen zu diesem genauen Wandel nicht beßer krönen und schließen konnte, als gerade auf diese Weise. Wenn ein trunkenes Leben, das er voraus verbot, die widerwärtigste Frucht der Rohheit und Rücksichtslosigkeit genannt werden kann, so ist im Gegentheil die freie Unterordnung, von der er spricht, die lieblichste Erscheinung und Frucht jener christlichen Bildung, die er als genauen Wandel bezeichnet. Wenn in der Nüchternheit die würdigste Erweisung der Vernunft, in einem Leben voll Lobgesang und Dank die größte Seligkeit des genauen Wandels beschrieben wird, so erscheint in der allseitigen Unterthänigkeit der feinste Takt desselben Lebens: zum nüchternen hellen Geiste, zum brennenden Herzen kommt so die edelste Begränzung des ganzen Lebens und die reinste rücksichtsvollste Schonung aller Verhältnisse. Daher ich auch in der That gerade bei der letzten Ermahnung Pauli das Gefühl der Vollkommenheit seiner Rede am meisten habe, zumal, wenn ich bedenke, daß die Unterthänigkeit, welche er fordert, in der Furcht Gottes geschehen soll, daß also jede andere Rücksicht der puren Höflichkeit oder was man sonst im Auge haben kann, zurücktritt und rein der Wille des Allerhöchsten und die Verantwortung vor dem heiligsten Vater im Himmel diejenigen beherrschen soll, welche dem apostolischen Worte gehorsam sind.

 Solche Anfänger in dem genauen Wandel seid ihr, meine lieben Brüder, daß ich mich bei der Warnung vor Trunkenheit am meisten als euer Prediger und Pfarrer fühlte, während ich im Verlaufe der

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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 140. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/516&oldid=- (Version vom 1.8.2018)