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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

großen Vortheil haben, denn sie sehen und erkennen uns ja; wir aber großen Nachtheil, denn wir sehen und kennen sie nicht. Es ist schon das ein schrecklicher Gedanke, von Feinden umgeben zu sein, die man nicht warnehmen kann. Denkt man sich nun ferner, daß diese Feinde ein ungezähltes Heer an Menge sind, so braucht man sich dieselbigen gar nicht einmal als sehr mächtig vorzustellen, die Furcht wächst doch: denn gegründet auf die Unsichtbarkeit des feindlichen Heeres mehrt sie sich durch Ueberlegung der Menge. Nun finden wir aber in der heiligen Schrift, daß der Fall der Engel sich nicht etwa bloß auf die untergeordneteren Klaßen der Geister bezog, sondern seinen Anfang gerade in den obersten Reihen nahm, welche zunächst den Thron des HErrn umgeben, und wir können aus mancherlei Stellen der heiligen Schrift schließen, daß von den obersten Reihen bis zu den untersten, von den hochbegabtesten bis zu den mindest begabten Geistern hinab dieser Fall hindurchriß, wie ein fallender schwerer Stein. Ist nun diese gesammte Schaar von mannigfaltigen Engeln einmüthig gegen uns, gegen die Kirche Gottes auf Erden gerichtet, steht sie uns, als ein mächtiger und wohlgeordneter Organismus, als ein Reich in sich, gegenüber, so wird die schon vorhandene Furcht auch dadurch gemehrt. Dieselbigen bösen Geister aber werden uns nun noch überdies als Weltbeherrscher dargestellt, und uns damit geradezu gesagt, daß die Bosheit der Menschen keineswegs unberathen ist und sich selbst überlaßen; sie wird wohl einmal während der tausend Jahre, in welchen der Teufel gebunden sein soll, von dem bösen Geisterreiche verlaßen und unberathen sein, dann aber auch dem Einfluße des Reiches Christi unterliegen und ihre sich mehrenden und stauenden Waßer keinen Abfluß finden; aber gegenwärtig ist sie noch berathen und geleitet, und mehr als Fleisch und Blut es denkt, ist die Welt daher im Zusammenhang und völligen Einklang mit dem bösen Geisterreiche. Diese Fürstentümer, diese Mächte, diese Geisteswelt der Bosheit, die selbst unter dem Himmel, in den Lüften, wie die Schrift lehrt, ihren Sitz hat und ihr Spiel treibt, hat ihr Werk in dieser Finsternis der Zeit, beherrscht die Welt und wendet sich mit aller Macht und List, mit aller Behendigkeit und Schnelligkeit gegen das Reich JEsu Christi, die arme streitende Kirche, und diese wie eine schüchterne Taube, wie ein gejagtes Reh muß nun ringsum von oben und zu den Seiten umgeben und umschwirrt sein von einem nächtlichen, schrecklichen Kriegesheer der Teufel, und alle Augenblicke auf einen neuen Anlauf, auf einen Schlachttag, auf ein böses Stündlein warten. Wer kann diese Lage der Kirche also nehmen, ohne einerseits zu erkennen, wie sehr die Teufel die Kirche Gottes fürchten müßen, dies scheue Reh, andererseits aber wie schwer und schrecklich ihr Kampf sei.

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 Erkennen wir nun auf der einen Seite die große Macht der Feinde, und die daher rührende Schwierigkeit des Kampfes, so wird uns andererseits das Gefühl unserer Noth nur desto mehr durchdringen, wenn wir an die Notwendigkeit des Sieges denken und an unsere große Schwachheit. Es ist schon richtig, daß wir gar nicht alleine diesen Kampf zu führen haben; es sind ja die Engel mit uns im Kampfe, die reinen Geister, deren Macht gegenüber den Dämonen gar wohl in Anschlag zu bringen ist. Es ist uns auch vielfach in der heiligen Schrift von Kämpfen der guten Engel gegen die bösen Bericht gegeben, und der Sieg ist immer auf Seiten der guten. Aber können denn die guten Engel den Sieg für das Ganze gewinnen, wenn wir auf Erden den Sieg verlieren? Ist nicht im Ganzen der Sieg verloren, wenn ihn die streitende Kirche auf Erden verliert? Ja ist nicht geradezu der Kampf, von dem die Rede ist, ein Kampf der streitenden Kirche auf Erden? Ist es nicht unsere Sache, um deren willen er geführt wird? Meint denn der Teufel und kann er meinen, die Engel zu fällen und zu überwinden, die im Guten bestanden sind und ihr Fürstentum verloren haben? Ihnen kann und wird er die Seligkeit gewislich nicht mehr rauben, aber uns kann er verderben, uns, die wir zugleich so schwach sind. Wenn er uns, den linken schwachen Flügel, schlägt, schwingt sich der rechte, starke unverletzt zum Himmel, aber die Schlacht ist dennoch verloren, und wir sind verloren; unser ewiges Heil steht also auf dem Spiele. Da sieht man, was auf unsern Kampf ankommt und wieviel zu fürchten steht. Dazu sind wir, daß ich abermals wiederhole, so schwach und durch unseren Fall mit dem Feinde innerlich so sehr verwandt, also nicht bloß träg und kraftlos, sondern durch unsern alten Menschen gewissermaßen Verbündete des Feindes. Und doch

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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 143. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/519&oldid=- (Version vom 1.8.2018)