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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

wir kaum etwas für nöthiger finden, als den Dank für die bereits bestehende Gemeinschaft. Danke für die Gemeinschaft, die du hast, so wird ihr Segen über dich kommen; vergiß den Dank, so kommt dein inneres Leben in Gefahr.

 Im zweiten Theile unseres Textes spricht der Apostel, wie bereits gesagt, sein Vertrauen aus, daß das in den Philippern begonnene Werk der Gnade auch werde vollendet werden bis an den Tag JEsu Christi: „Ich bin desselbigen in guter Zuversicht, daß, der in euch angefangen hat das gute Werk, der wird es auch vollführen, bis auf den Tag JEsu Christi.“ Vom Anfang bis zu der Abfaßungszeit des Briefes Pauli blieben die Philipper in der Gemeinschaft des Evangeliums und ihr Verharren in der Gnade gab dem Apostel Anlaß zu dem großen Dank, welchen er allezeit Gott um jener Gemeinde willen darbrachte. Die schöne Vergangenheit erweckte zum Dank, denn Gott hatte ja ganz offenbar das gute Werk in den Philippern begonnen. Die Vergangenheit aber machte auch Muth für die Zukunft. Wer in der Wahrheit eine Weile geblieben ist, für den faßt man leicht die Hoffnung, daß er auch ferner darin verharren werde; an der alten Erfahrung, an der dadurch klar gewordenen Möglichkeit des Verharrens im göttlichen Segen entzündet sich bereits die Zuversicht und Hoffnung auf fernere gleichartige Erfahrungen, noch ehe man sich besonnen hat, ob man auch den mächtigen Grund zur Hoffnung habe, welchen St. Paulus hatte. St. Paulus setzte seine Hoffnung wegen der zukünftigen Vollendung der Philipper nicht so wohl auf den bereits gemachten Anfang der Philipper im Guten, als auf den Anfänger des Guten in ihnen, den HErrn selbst. Rührt ein guter Anfang in nöthigen Dingen von dem Allmächtigen her, so wird sich die Zuversicht auf künftige Fortsetzung des Guten desto kräftiger erheben dürfen und können. Vermuthet man schon, daß diejenigen, welche eine Zeitlang der Wahrheit und ihrem Geiste nicht widerstanden haben, auch ferner nicht widerstehen werden, so wird man um so mehr nicht bloß vermuthen, sondern gewis hoffen können, daß der treue Gott, der früherhin Seine Heiligen wunderbar leitete, sie auch ferner leiten, ja sie vollenden werde bis ins ewige Leben. Diese auf Gott gesetzte Hoffnung spricht der Apostel so schön aus, indem er sagt: „Der HErr wird das gute Werk vollführen und vollenden bis auf den Tag JEsu Christi.“ Der Tag der Zukunft JEsu ist der Wendepunkt der Zeiten, wer bis zu diesem Tage ausgehalten hat, der hat gewonnen; von dort an hört Versuchung und Bewährung auf; der treue Jünger JEsu tritt von dort an ein in den Frieden eines ungestörten und ungehemmten Fortschritts, eines unendlichen Zunehmens und Werdens, welches denen die vollkommenste Befriedigung gewährt, die es erfahren. Es braucht sich daher auch die Treue Gottes und Seiner Philipper zunächst gar nicht weiter zu erstrecken, als bis zu dem Tage hin; die Ausdehnung bis dahin ist Vollendung – die Vollendung bis dahin ist Eingang in die ewige Herrlichkeit.

 Nachdem also der Apostel sein Vertrauen auf die Vollendung der Philipper in dieser Weise ausgesprochen und begründet hat, so gibt er noch innere Gründe seines Vertrauens an. Während er den Brief an die Philipper schrieb, lag er selbst zu Rom in Banden, vertheidigte sich und sein Evangelium gegen seine Feinde zwei Jahre lang und bekräftigte allenthalben durch sein Wort und Zeugnis das Evangelium von der Gnade. Er hatte nicht leichte Arbeit. Die Predigt, die er, ein Gefangener zu Rom, that, fand eigentümliche Hindernisse. Bei seiner gesammten schweren Arbeit aber war ihm das Andenken an seine Philipper und die übrigen Gemeinden in Macedonien etwas sehr Tröstliches. Es war ihm, als hätte er, der mühevolle Kriegsmann, an den Philippern ein Heer gleichgesinnter Streiter hinter sich. Sie waren die Genoßen der Gnade, welche er selbst hatte, der Gnade des Glaubens und auch des Leidens für den Glauben; er wußte, daß er nicht allein in seinem Elend war, sondern daß seine lieben Kinder und Brüder zu Philippi des gleichen Elends theilhaftig waren und es mit Freuden um Christi willen ertrugen. Er sah also nicht bloß auf ihre Gemeinschaft am Evangelio vom Anfang bis dorthin, sondern auch auf das gemeinsame innere und äußere Loos, welches sie mit einander theilten, auf die geistige Verwandtschaft, welche zwischen ihnen bestand. Deshalb hatte er sie auch in sein Herz geschloßen, wie er das ausdrücklich sagt, und die Liebe zu ihnen, die ihn erfüllte, machte ihn willig, alles Gute von ihnen zu hoffen, denn die Liebe hofft alles, wie uns am anderen Ort

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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 149. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/525&oldid=- (Version vom 1.8.2018)