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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

Am dreiundzwanzigsten Sonntage nach Trinitatis.

Phil. 3, 17–21.
17. Folget mir, lieben Brüder, und sehet auf die, die also wandeln, wie ihr uns habt zum Vorbilde. 18. Denn viele wandeln, von welchen ich euch oft gesagt habe, nun aber sage ich auch mit weinen, die Feinde des Kreuzes Christi, 19. Welcher Ende ist die Verdammnis, welchen der Bauch ihr Gott ist, und ihre Ehre zu Schanden wird, derer, die irdisch gesinnet sind. 20. Unser Wandel aber ist im Himmel, von dannen wir auch warten des Heilandes JEsu Christi, des HErrn. 21. Welcher unsern nichtigen Leib verklären wird, daß er ähnlich werde Seinem verklärten Leibe, nach der Wirkung, damit Er kann auch alle Dinge ihm unterthänig machen.

 WEnn man in dem heutigen Evangelium das Angesicht Christi ansieht, – was sieht man? das Antlitz eines heiligen Gottes, ja des heiligen Gottes, des Mannes von unsträflichem und unnahbarem Wandel, deßen Beispiel hehr und hell vor allen Augen sich erhebt und nicht weniger als das Wort Gottes, das ja von Ihm strahlt, ein Licht auf unsern Wegen und eine Leuchte unserer Füße genannt werden kann. Gar nicht nach dem Sinne weder der Juden noch der Herodianer, sondern ganz anders, weit erhaben über jede von ihnen nur angenommene Möglichkeit antwortet Er auf ihre Frage voll tückischer, lauernder, berechnender Klugheit: „Ist es recht, daß wir dem Kaiser Zins geben oder nicht?“ Wahrlich, Seine Antwort gleicht Seinem Wege, da Ihn die Juden steinigen wollten, Er aber mitten durch sie hinstrich, ohne daß ihre Augen, geschweige ihre Steine Ihn trafen. „Meine Wege sind nicht eure Wege, – meine Gedanken nicht eure Gedanken“, hieß es da. Sein grader, heiliger Gang findet sein Vorwärts, seine Durchgangspforte ohne den Dank der Menschen, und wer Ihm nachwandelt, dem geschieht nach dem Maße armer Sünder das Gleiche zu Seinem Preise: Seine Heiligen wandeln Ihm nach sicher und gienge es den Todesberg hinan, durch Todesthale und Grabespforten.

 Anschließend an das Evangelium redet auch die Epistel von Aergernis und seligem Beispiel. Laßet uns den schönen herrlichen Inhalt miteinander erwägen; ich denke, wir werden am Ende wohl gestehen müßen, daß der Sonne des Beispiels Christi nach das heilige Beispiel der Apostel wie ein lichter Mond wandelt, während die von St. Paulo verworfenen Aergernisse und bösen Beispiele sich an solchem Lichte wie Schlingen ausnehmen, die auf nächtlichen Wegen ausgebreitet liegen, die Heiligen zu fällen.

 Zuerst betrachen wir die Aergernisse, und haben wir sie hinter uns – wenn nicht im Leben (ach wäre es so!), so doch in der Betrachtung; so wollen wir uns an dem Abglanze von JEsu Sonnenglanz, am prächtigen, lichten Gang des Mondes, d. i. des apostolischen Beispiels weiden.

 Mit einem Worte bezeichnet St. Paulus V. 18. die bösen Beispiele, die üblen Vorbilder, er nennt sie „Feinde des Kreuzes Christi“. Damit schon hat man einen abschreckenden Schattenriß der Feinde. Wenn der Apostel die Leute, vor welchen er warnt, Feinde der Philipper, oder gar Feinde des menschlichen Geschlechts genannt hätte, er würde damit nicht so schwarz und abschreckend gezeichnet haben, als mit dem Ausdrucke „Feinde des Kreuzes Christi“. Dies Kreuz, an welchem der Eine Gerechte litt für die Ungerechten, an welchem der allmächtige HErr gebunden, ja angenagelt wurde, auf daß wir armen Sclaven der Sünde, des Todes und Teufels frei würden: dies Kreuz, von welchem, so dürr und grausam es aussieht, dennoch das Leben entsproßen ist, das am Baum der Erkenntnis Gutes und Böses verloren gieng, – dies Kreuz, nicht schön an Gestalt, wie es ist, muß sich dennoch allen Herzen empfehlen, ist auch

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 153. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/529&oldid=- (Version vom 1.8.2018)