Seite:Wilhelm Löhe - Epistel-Postille.pdf/53

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

in welchen wir die große Unvollkommenheit und die tiefe Bosheit des alten Adams inne werden, und im Ganzen wird sicherlich der Satz wahr bleiben, daß ein richtiger Gradmeßer unsrer Heiligung unsre Sündenerkenntnis und unsre Reue sei. Es ist richtig, daß selig sind die Todten, die im HErrn sterben, und daß ihnen ihre Werke nachfolgen. Und wenn ich mir einen Sterbenden denke, der so recht völlig vom Geist der Wahrheit durchdrungen ist, so muß ich annehmen dürfen, daß ein solcher auch von einer Freude über seine wolvollbrachten Werke durchdrungen sein könne. Aber es wird mit dieser Freude gehen nach dem Spruch: „Freuet euch mit Zittern“, und das Bewußtsein wolvollbrachter Werke wird nichts desto weniger mit der tiefsten Buße und der schwuresgewissen Erkenntnis zusammengehen, daß einerseits unsre Werke nicht unser, andrerseits aber nur schwache Lichter vor dem unnahbaren Lichte der Gerechtigkeit Gottes, wenig und klein, unrein, befleckt und unvollkommen sind, und daß auch die größten Heiligen nur dann vor Gott als gerecht stehen können, wenn sie Gott aus Gnaden für gerecht hält, und ihnen eine Gerechtigkeit zurechnet, die sie selbst nicht haben. Und davon redet unser Text, das ist die große Aenderung, welche mit dem Volke, das aller Sünden voll ist, am Teiche Bethesda vorgeht. Die Sünder von Art werden gerecht aus Gnaden, nach Gottes heiligem und wunderbarem Schluß und Spruch. – Man könnte freilich sagen, das sei eigentlich gar keine Aenderung, es sei mehr eine Aenderung in Gott, als in dem Menschen selbst. Und doch ist diese doppelte Bemerkung unrichtig. Gott ändert sich nicht; was Er je und je für recht und unrecht gehalten, bleibt vor ihm ewig recht und unrecht. Aber Er hat eben in Christo JEsu und Seinen Leiden einen Weg gefunden, zugleich gerecht und gnädig zu sein. Dagegen aber ist allerdings in dem Menschen selber, der die Gerechtigkeit des Glaubens annehmen kann, eine gewaltige Aenderung vorgegangen. Nicht daß er nun etwa auf einmal durch eigene Kraft in einen Zustand und zu Werken gekommen wäre, durch welche er Gott und seiner Heiligkeit genug thäte; er ist auch nicht aus Gnaden zu einer eigenen Gerechtigkeit gekommen. Aber das muß ja gar nicht einmal der Fall sein, wenn eine Aenderung in ihm vorgegangen sein soll; es ist ja nicht blos das eine Aenderung, wenn der Mensch selbst geändert und eine eigne Gerechtigkeit gefunden hat. Da käme es auch nie zu einer Aenderung; denn der Mensch hat keine eigene Gerechtigkeit und wird niemals eine finden. Aber wer die von Gott zugerechnete Gerechtigkeit annehmen kann, der ist im Grunde seiner Seele ein andrer geworden, die verheißungsvollste, seligste Aenderung ist in ihm bereits vorgegangen. Obwol unvollkommen von sich selber nach wie vor und allein aus Gnaden gerecht und selig, ist er doch nun innerlich wahrhaftig geworden, und in der Wahrhaftigkeit demütig, und in der Demut gottesfürchtig, und durch die Gottesfurcht zu den Pforten aller Weisheit und Gerechtigkeit gekommen, denn die Furcht des HErrn ist der Weisheit und aller Tugend Anfang. Damit ist dann in der That schon alles anders, es wird zur rechtfertigenden Gnade Gottes die heilige und erziehende kommen, und das Werk des HErrn in einem solchen Herzen fortgehen. – Darum, meine lieben Brüder, bleibe nur immerzu die Bewunderung in uns, welche ich für die große Aenderung ausgesprochen habe, die in Bethesda hervorgebracht wird, und ich lade euch nach diesem langen Eingang ein, zur Feier der Geburt des HErrn mit mir den Hauptgedanken unsres Textes, nämlich das große Mittel unsrer Aenderung, die heilige Taufe, zu betrachten, durch welche Gott aus Sündern Kinder und Erben des ewigen Lebens schafft.

.

 Wir sind alle getauft und bringen auch unsre Kinder, sobald sie geboren sind, zur Taufe. „Du bist alt genug zum Sterben,“ sagt ein Vater mit großer Beruhigung zu seinem Kindlein, wenn es getauft ist. Kaum geboren und in die Welt gekommen, darf es wieder dahin gehen und sterben, weil es getauft ist. Aber ehe es getauft ist, da zittert man ums schwache Leben, und sorgt bei dem lebensunfähigen, kranken, sterbenden Kinde weniger, daß es genese und leibliche Hilfe finde, als daß es getauft werde und ja nicht sterbe, ehe die paar Hände reinen Waßers unter dem Klang der heiligen Formel über den Leib gegoßen sind. Ja so begierig ist man, alle menschliche Creatur zu taufen, daß die römische Kirche und auch viele unter den Römischen lebenden Protestanten lieber die Kinder im Mutterleib künstlich taufen, als sie ungetauft in der Geburt sterben laßen. Sie wißen sehr wol den alten Spruch: „nicht kann wiedergeboren

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 046. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/53&oldid=- (Version vom 1.8.2018)