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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

allen Christen von Anfang an empfohlen gewesen, geliebt, gelobt von allen. Wie kommt es denn, daß St. Paulus gewisse Menschen, – welche doch unter den Christen wandeln mußten, sonst wäre die Warnung unnöthig gewesen, – Feinde des Kreuzes nennen konnte? Das ist die Frage. Die Antwort ist folgende. Es hat niemals, seitdem der HErr am Kreuze erblaßte, an Leuten gefehlt, welche kein Wohlgefallen an diesem Kreuze fanden. Zu Pauli Zeiten gab es unter den Judenchristen eine auch in diesen Vorträgen schon oft bezeichnete Partei, welche Feinde des Kreuzes Christi waren, so wie es St. Paulus predigte. Bei Paulo hieß es: „Es sei ferne von mir rühmen, denn allein von dem Kreuze JEsu Christi, durch welches mir die Welt gekreuzigt ist und ich der Welt.“ Er wollte, wenn von des Menschen Weg zur Ewigkeit und zu dem ewigen Heile die Rede war, gar nichts wißen als von den Leiden Christi am Kreuze: die allein, von Gott angenommen als für uns geschehen, von den Menschen in Armuth des Geistes, allein im Glauben ergriffen, waren in Pauli Augen die Ursache des Heiles. Außer dem Kreuze erkannte er kein Heil. Dagegen wollten jene Judenchristen dem Gesetze und der eigenen Kraft des Menschen es zu halten, eine Stelle auf dem Heilswege gesichert wißen. Nicht allein Christus, nicht allein Sein Leiden und Sterben, sondern auch die Unterordnung unter das Gesetz von Seiten des sündigen Menschen, die Beschneidung und all der äußerliche, dem Menschen mögliche Gehorsam sollte etwas vor Gott gelten. Damit aber traten sie eben dem HErrn und Seinem Kreuze zu nahe. Dies steht einsam, erhöht allein, erhaben allein. Jeder Zusatz ist ihm feindlich. Wer irgend etwas zusetzt, der ist schon ein Feind des Kreuzes Christi, nimmt von dem Kreuze den vollen Segen nicht, gibt ihm nicht die ganze Ehre, verdunkelt seinen Glanz und das Heil des Menschen. So faßt es St. Paulus und hat damit ganz und gar Recht. Es ist und bleibt eine höchst gefährliche und verdammliche Sache, wenn man dem Kreuze etwas zur Seite stellen will. Neben Christo können nur Schächer und Missethäter hangen; Er alleine ist es, zu dem die Schächer am Kreuze beten und von Ihm Sein Gedächtnis erflehen können. Nacht und Elend breitet sich über alle Seelen, deren Blick von dem sterbenden Auge JEsu sich wendet, wohin es auch sei. Einfach und allein zu Ihm wende dein Herz und dein Auge, und nenne kühnlich jeden einen Feind des Kreuzes Christi, der, wie jene Judenchristen, Zusatz zum Kreuze findet. Die ganze judenchristliche Richtung erstarb und mußte ersterben, weil sie nicht St. Pauli Weg wanderte; es muß erst kommen die Kirche von Judenchristen, die, weil sie allein an Christo, dem Gekreuzigten bleibt, auch selbst bleibt und in die Klarheit geht, welche ihr Christus, Seine Propheten und Apostel für das Ende der Tage verheißen.

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 Der heilige Apostel bezeichnet jedoch die, welche Aergernis für die Philipper gaben, nicht bloß als Feinde des Kreuzes, sondern, könnte man sagen, indem man den vollen Gegensatz hinstellt, er beschreibt sie als Freunde und Knechte des Fleisches. „Sie suchen das Irdische,“ sagt er, oder: „sie haben nichts anderes im Sinne als Irdisches.“ Indem sie das Kreuz allein nicht wollen, indem sie das Gesetz und die alttestamentliche, äußerliche Gesetzlichkeit hegen und pflegen wollen, wollen sie im Grunde nur ihr nationales, jüdisches Wesen und ihre angeerbte Besonderheit unter den Völkern aufrecht erhalten. Indem sie dies ihr eigenes Wesen, ihre im Neuen Testament bedeutungslos gewordene Beschneidung und das ganze damit zusammenhängende Ceremonialgesetz den Heiden zumuthen, wollen sie ihre nationale Besonderheit, zu einer allgemeinen Lebensbedingung, zu einer und zwar zur alleinigen Pforte für alle machen, welche zu dem aus Israel hervorgegangenen Heiland kommen wollen. So eifern sie für das Ihrige, für Irdisches, Vergängliches, als wäre es für Alle und für alle Zeiten gegeben. Man könnte sich nun allerdings denken, daß diese Menschen für ihr zähes Halten an dem Gesetze auch edlere, sogenannte edlere Gründe gehabt hätten, Gründe, welche einige Achtung abnöthigten und billige Beurtheiler zur Entschuldigung zwängen. Allein entweder war es nicht so, oder der Apostel wollte in der hohen Sache und bei dem um sich freßenden Uebel nicht entschuldigen, das Aergernis nicht bemänteln; sondern im Gegentheil ihm alle Hüllen rauben, es in seiner Abscheulichkeit bloß und abschreckend zeigen. Darum braucht er gewaltige Worte, Worte, die man nicht Schelt- oder Schimpfworte nennen darf, weil sie vollkommen wahr sind und sein müßen. „Ihr Gott ist der Bauch,

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 154. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/530&oldid=- (Version vom 1.8.2018)