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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

spricht er. „Ihre Ehre ist in ihrer Schande,“ fährt er fort. „Ihr Ende ist das Verderben,“ weißagt er. Es wird wohl auch nicht anders gewesen sein. Wenn man mit dem Judentum völlig brach, nicht weil man es verachtete (es ist ja das größte vor Christo gewesen!), sondern weil es ausgedient hatte, weil es in Johanne dem Täufer zu bekennen hatte: „Ich muß abnehmen, Christus muß zunehmen“; so hatte man alle Juden geradezu gegen sich. Da wurde man excommunicirt, da trat eine Scheidung ein, welche auch für alle zeitlichen Verhältnisse höchst folgenreich war, eine Scheidung, welche man vermeiden konnte, wenn man bei der Hinwendung zu Christo auch noch das gesetzliche Wesen mitmachte und dadurch das Christentum nur als eine besondere Richtung innerhalb des Judentums erklärte. Es gieng den Judenchristen gerade wie heut zu Tage auch vielen Christen. Die Verhältnisse gestatteten es nicht, paulinisch zu denken; es war zuviel zu verlaßen und aufzugeben. Allein diese Verhältnisse nannte eben Paulus Bauch, Schande, Verderben der von ihm bezeichneten Leute; ihre Feßeln, ihren Einfluß nannte er Götzendienst. Die Ehre, in welcher man sich dadurch hielt, daß man ihnen fröhnte, nennt er eben Schande, – und das Ziel, was damit erreicht werden würde, nennt er Verwesung, Verderbnis und Verdammnis. Freilich! Es war ja nicht anders. Warum muß denn im Neuen Testament das Alte festgehalten werden? Damit man nicht Amt und Brod verliert, damit der Bauch versorgt wird! Warum kann man sich nicht lauterlich mit Verachtung aller eigenen Gerechtigkeit zum Kreuze halten? Weil man nicht bloß das Brot, sondern auch die Stellung, die Ehre verlieren würde. Man will sich doch nicht so gar zur Verachtung derer machen, unter denen man bisher einen guten und klingenden Namen gehabt hat. Allein was ist die Ehre bei den Menschen, wenn sie um den Preis der Wahrheit und Lauterkeit erkauft wird? Wenn nun der Richter kommt, mit dem kein Spaß noch Spott zu treiben, wie dann? Was wird aus der Ehre werden? Wer Mich ehret, spricht Er, den will Ich wieder ehren; wer Mich verachtet, den will Ich auch verachten. Da geht denn alles Gute, alle Ehre schon hier zeitlich unter; es endet alles miteinander [i]m Grabe; der Leib und Bauch, für den man sorgte, – das Ehrenkleid und alle Ehre – nimmt da ein Ende – und jenseits, und bei der Wiederkehr des HErrn gibt es Verdammnis. – Das ist das Ende der Feinde des Kreuzes Christi und da hinein reißen sie alle, auf die ihr Beispiel Einfluß fand. Sie werden nicht selig und Andere laßen sie nicht selig werden. Darum warnt auch St. Paulus vor ihnen so ernstlich, so oft, so bewegt. So ernstlich, denn du hörst ja seine gewaltigen Worte, mit denen er alle Hüllen der Selbstsucht zerreißt; so oft, denn du liesest ja, er habe es den Philippern oft gesagt, was er hier wiederhole; so bewegt, denn er spricht ja: „nun aber sage ich auch mit Weinen.“ Also war er bei seinen ernsten Worten nicht selbst von fleischlichem Eifer hingerißen; sonst würde ein solcher Mann nicht sagen: „ich habe es euch oft gesagt“; er würde seine starke Warnung vielmehr zurückgenommen haben, anstatt sie zu wiederholen. Also war er auch nicht von Haß beseelt, denn der Haß weint nicht; die Liebe kann weinen und das Erbarmen preßt Thränen aus. Warum weint denn der Apostel, wenn nicht entweder aus Liebe zu den Verführern der Philipper oder zu den Philippern selbst, die in Gefahr waren, verführt zu werden, oder gar aus beiderlei Drang der Liebe? Seine Thränen sind eine Wiederholung der Thränen Christi bei Jerusalem, da Er sah, wie wenig sie bedachten, die Kinder Jerusalems, was zu ihrem Frieden diente. Seine Thränen waren darum heiß, heißer als Kohlen auf dem Haupte, und da sie fielen, konnten sie, wenn auch nicht die Häupter, so doch die Herzen der Philipper treffen und eine mächtige Anmahnung werden, der Warnung zu folgen, von welcher der apostolische Mund troff, während seine Augen gleichfalls troffen.

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 Meine Brüder und Schwestern. Ich glaube den zweiten Theil meines Textes und meines Vortrages nicht antreten zu dürfen, ohne eine, wenn auch nur kurze Anwendung von unserem Texte gemacht zu haben. Ich meine, die Leute, welche St. Paul als böse, ärgerliche Beispiele hinstellt, werden in gewissem Sinne zu denen gerechnet werden können, welche wir „Halbe“ zu nennen pflegen. Diese Halben, welche in ihrer großen Klugheit nach zwei Seiten hin sich mit Theilnahme bewegen, sind jetzt noch, wie zu des Apostels Zeiten, unter allen die ärgerlichsten und ihr Einfluß ist jetzt wie immer der gefährlichste. Kein

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 155. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/531&oldid=- (Version vom 1.8.2018)